Indhold: Grundsätze bei Neuordnung des Gottesdienstes 529. #1. -- Der Hauptgottesdienst 531. #10. -- Wochengottesdienste 534. #30. -- Das deutsche Kirchenlied 535. #34.-- Luthers Kirchenlieder 537. #40. -- Würdigung derselben 540. #55. -- Melodieen dazu 541. #61. -- Deutsche Liturgie 542. #66. -- Taufbüchlein verdeutscht 543. #69. -- Beichte 544. #72. -- Katechismus und Jugenderziehung 544. #74. -- Schulen 546. #80. -- Ordnung der ökonomischen Verhältnisse der Kirche 548. #94. -- Leisniger Gemeinde-Ordnung 550. #100.
Tilbage til oversigten!
Tilbage til koestlin5,2!
1 Drittes
Kapitel.
Fortsetzung: Gottesdienst und Kirchenlied, Schule, Kirchenverfassung. Die schwierigen Fragen, auf welche wir schon in diesen Anfängen der reformierenden Tätigkeid Luthers gestossen sind, betreffen die Art, wie überhaupt einem evangelischen Gottesdienst und Kirchenwesen in den Gemeinden und Ländern Raum geschafft, das Widerstreben papistischer Geistlicher und Gemeindeglieder überwunden werden sollte. Luther hat gewiss die Schwierigkeiten, in die er hie hineingeriet, bereits selbst sehr zu fühlen bekommen. Dagegen sehen wir ihn mit Klarheit, Ruhe und Konsequenz und zugleich liebende Anschluss an die jeweiligen Bedürfnisse der christlichen Brüder nun da, wo einmal für das Evangelium Raum und Sieg gewonnen ist, an der weiteren Reinigung des Gottesdienstes arbeiten. Wir haben hier dasjenige näher auszuführen, was er darüber namentlich in den beiden oben (S. 522 (5,2#55) u. 524 (5,2#60)) genannten Schriften berichtete und riet. |
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2 Er stellt da kurz und einfach den höchsten Grundsatz auf, um welchen es ihm beim evangelischen Kultur zu tun war: "die Summa sei, dass es im Gottesdienst ja alles geschehe, dass das Wort im Schwange gehe und nicht wiederum ein Lören und Tönen (d. h. leeres Gesing und Geschrei) draus werde, wie bisher gewesen ist". "Das eine", sagt er, "ist von nöten, dass Maria (nach Luk. 10,39ff) zu Jesu Füssen sitze und höre sein Wort täglich". In dem bisherigen Gottesdienst sind die drei grossen Missbräuche eingefallen, dass man Gottes Wort geschwiegen, dass man unchristliche Fabeln und Lügen in Legenden, Gesänden und Predigten aufgenommen, und dass (530) man solchen Gottesdienst als ein verdienstlich Werk getrieben hat. | |
3 Jetzt solle die Gemeinde nimmer mehr zusammenkommen, es werde denn daselbst Gottes Wort gepredigt und gebetet, ob auch nur aufs kürzeste. Gepredigt, lebendig dargelegt wollte er Gottes Wort haben, nicht bloss vorgelesen. Das Gebet, die bittende, lobpreisende, hingebende Erhebung der Seelen zu dem Gott, der in seinem wort sich ihnen offenbart und mitteilt, gehörte für ihn natürlich immer wesentlich zu jener Summa; aber es soll nur ein Gebet sein, das auf Gottes eigne Offenbarungen und Verheissungen sich gründet und diese aufnimmt, ohne selbstgemachte Mittel und Mittler der Gemeinschaft mig Gott zu suchen. Die Sakramente fallen dabei für Luther mit unter die ûbung des Wortes: durchs Wort sind diese äussern Akte gestiftet und geheiligt, um das im Wort Verheissene noch inniger zuzuteilen, und das Wort solle für sie die Herzen bereiten und den Glauben wecken, in welchem sie empfangen werden müssen. | |
4 Die Übung des Wortes und Gebetes bei der Gemeinde muss sich in verschiedenen Bestandteilen und Formen entfalten: die Texte der heiligen Schrift müssen in der Verkündigung für verschiedene Zeiten und Anlässe geteilt werden, die Gebete und Gesänge mit verschiedenem Inhalt und Ton zu Gott aufsteigen. Das leibliche, sinnliche Leben, in welchem wir auch als Christen uns bewegen, und welchem Gott selbst mit seinem äusern Wort und den äussern Sakramenten entgegenkommt, bringt von selbst eine weitere äussere Einkleidung des Gottesdienstes mit Bezug auf Zeit, Ort und Handlungen mit sich, ohne dass Gott für dieses alles ein Gesetz hätte aufstellen müssen oder wirklich aufgestellt hätte. | |
5 Luther hat darüber später oft eingehender sich geäussert. Er geht schon jetzt, und so ja schon seit dem Beginn seines reformatorischen Zeugnisses, davon aus, dass diese Dinge alle jenem gottgeordneten Kerne des Gottesdienstes gegenüber frei, indifferent, Adiaphora seien. Wer daraus wieder bindende Satzungen machen will, zerstört ihm das Evangelium und die kostbare geistliche Freiheit der Christen, sei's dass es in des Papsts, sei's dass er in Carlstadts Weise geschehe. | |
6 Indem er nun aber zu bestimmen und zu raten hatte, wie jetzt wirklich der Gottesdienst innerhalb dieses freien Gebietes geordnet und gegliedert werden sollte, liess er sich hierbei durchweg durch die Rücksicht auf das zeitweise, gegenwärtige Bedürfnis der Gemeinde, des gemeinen mannes und zumeist der noch schwachen Glieder, leiten, und daraus ergab sich für ihn vor allem die fortwährende Fürsorge, keine Änderungen des Bestehenden vorzunehmen, die Ärgernis und Verwirrung hervorrufen könnten, vielmehr das Herkömmlliche um des Herkommens wegen in so weit bestehen zu lassen, als es jenem kern keinen Eintrag tue, ob auch anderes der Hauptaufgabe des Kultus an sich noch besser dienen könnte. (531) | |
7 Man hat versucht, für die Gliederung des katholischen und fernes der aus der Reformation hervorgegangenen Gottesdienstes in die einzelnen Akte, Gebete, Gesänge, Vorlesungen, Ansprachen u. s. w. eine tiefe innere Bedeutung nachzuweisen, ja gar zu zeigen, wie die Darstellung der göttlichen Heilstaten und Gaben für die Gemeinde und die Selbstdarstellung einer christlichen Gemeinde vor Gott nud in dieser bestimmten Gestant und Reihenfolge einem dem Wesen der Sache entsprechenden Ausdruck gewinne. Bei Luther finden wir nie einen solchen Versuch, nie ein solches Urteil. Gewiss fühlte Luther das Angemessene und Anregende, was die von ihm selbst aufgenommene alte Ordnung hatte. Aber er stellte darüber keine Theorie auf und kannte und suchte kein an sich Angemissenstes, sondern sein Verfahren bestant darin, dass er unter den überlieferten Bestandteilen des Gottesdienstes das, was mit jenen Grundsätzen sich nicht vertrug, ausschied oder durch anderes ersetzte, das übrige aber beibehielt. | |
8 Unverträglich waren für ihn vor allem die Stücke, welche geradezu Schriftwidriges enthielten, wie ausser dem Messopfer die abgöttische Anrufung der Heiligen; sodann auch solche Stücke der Liturgie, welche, ohne einen an sich verwerflichen Inhalt, doch durch die Überfülle menschenlichen Wortes und Klanges das göttliche Wort zurückzudrängen und den Geist wahrer Andacht zu ersticken drohten. Jene sollten unbedingt abgetan sein. Änderungen mit Bezug auf diese gab Luther nur ratweise an; er wollte darüber dem Urteil anderer nicht vorgreifen, noch Gesetze geben; ja hier, wo auch das Urteil evangelisch Gesinnter auseinander gehen und überdies die Individualität der verschiedenen Leute und verschiedenen Gemeinden Verschiedenes ratsam machen konnte, sollte Freiheit und Mannigfaltigkeit der Formen grundsätzlich gewahrt bleiben. | |
9 Die Personen übrigens, von denen Luther wünschte, dass sie neben ihm solche Änderungen bei sich überlegten und vornähmen, waren wesentlich nur die gleichgesinnten Geistlichen: er kannte noch keine Gemeinde, welche zu einer eingehenden Beratung dieser Dinge fähig gewesen wären. | |
10 Demnach gestaltete sich namentlich Luther Verhalten zum sonntäglichen Hauptgottesdienst. (n10) | |
11 "Form der Messe" betitelt er seine hauptsächlich hiervon handelnde lateinische Schrift. Er behielt so jetzt und fernerhin den alten Namen bei trotz alles das Bösen, was an denselben sich knüpfte, und auch trotz der Vorwürfe, welche ihm dann Carlstadt und andere deshalb machten. Denn er fand im Namen an sich keine Andeutung des Opfers. Jetzt sollte derselbe den nicht mit einem Messopfer, sondern mit dem Gemeindeabendmahl verbundenen Hauptgottesdienst bezeichnen. Das Abendmahl nämlich sollte den ordentlichen allsonntäglichen Gottesdienst abschliessen und seinen Höhepunkt bilden, in der Voraussetzung, dass auch jedesmal eine Gemeinde von Kommunikanten sich finden werde, die dieses an Gottes Wort sich knüpfende teure Testamente, Pfand und Mittel der Gnade zu geniessen begehre. (532) | |
12 Vergegenwärtigem wir uns denn näher die Ordnung der Messe nach jener Schrift Luthers; dieselbe bildet den ersten Schritt des Überganges zu den Formen, welche noch heutzutag in den lutherischen Kirchen üblich und für deren Kultur charakteristisch sind. | |
13 Die katholische Messe wurde (nach einem Vorbereitungsakt, der jedoch zu Luthers Zeit noch nicht allgemein aufgenommen war und vom ihm nicht erwähnt wird,) mit einen wechselnden kurzen Bibelwort, das der am Altar stehende Priester intonierte und der Chor dann sang, eröffnet. Dies der sogenannte Introitus, von dessen Anfangsworten der Name mehrerer unsere Sonntage, wie Esto Mihi, Invocavit, Reminiscere u. s. w. herstammt. Darauf stimmte der Chor das "Kyrie eleison (Herr, erbarme dich)" an, dreimal Kyrie, dreimal Christe und wieder dreimal Kyrie eleison; der Geistliche intonierte und der Chor sang weiter das Loblied der Engel "Gloria in excelsie etc. (Ehre sei Gott in der Höhe)", dessen biblischen Text man jedoch noch zu einem grossen lobgesang erweitert hatte; endlich betete der Priester eine oder mehrere kurze, "Kollekten" genannte Gebete [die Bedeutung des Namens ist zweifelhaft (n13)]. | |
14 Jetzt trat die Verlesung der sonntäglichen Epistel ein, woran sich bei den meisten Messen ein Graduale mit Halleluha schloss: Gesänge, deren Text ursprünglich den Psalmen entnommen war; an gewissen Festen ertönte der Gesang noch weiter in den sogenannten Sequenzen. Nachdem sodann auch das Evangelium des Sonntags verlesen war, führte der Vortrag des nicänischen Glaubensbekenntnisses zum zweiten Hauptteil der Messe über. | |
15 Von diesen liturgischen Stücken nahm Luther den Introitus, das Kyrie und Gloria und die Kollekte auf, obgleich er statt des Introitus lieber die Psalmen selbst, aus welchen sie genommen waren, gehabt hätte und es den Geistlichen anheimgab, das Gloria zuzeiten wegzulassen; auch die römische Ordnung verordnet, das Gloria zu bestimmten Zeiten auszulassen, -- bei Luther aber tritt an die Stelle eines liturgischen Gebotes das freie Ermessen der Geistlichen. Die Zahl der Kollekten beschränkt er: ein solches Gebet ist genügend. Das Graduale soll nicht über zwei Verse lang sein; der Geistliche mag wählen, ob er Graduale und Halleluja oder nur eins von beiden singen lässt. | |
16 Als Motiv für die Kürzungen gibt er, auch wo er an den Texten nichts auszusetzen hat, dass Zuviel an: er wolle nicht, dass durch Überdruss der Geist der Gläubigen ausgelöscht werde. Die Sequenzen verwirft er mit Ausnahme einer sehc kurzen und urallten an Weihnachtn und zwei andere vom heiligen Geiste, die der Geistliche nach eignem Gutbefinden gebrauchen möge. Der Vortrag des Glaubensbekenntnisses missfiel ihm nicht, doch liess er auch für dessen Gebrauch dem Geistlichen Freiheit. | |
17 Die Auswahl der vorgeschriebenen Episteln und teilweis auch der Evangelien (Perikopen) dünkte ihm sehr schlecht: er vermisste namentlich unter jenen solche Schriftstücke, welche den seligmachenden Glauben lehren; es schien ihm, dass der, welcher sie angeordnet habe, ein ungelehrter und abergläubischer Verehrer der Werke gewesen sei. So scharf und frei er jedoch hierüber urteilte, hielt er für jetzt die Zeit noch nicht für geeignet zu Äuderungen, sondern behielt sich diese erst für eine Umgestaltung der ganzen bisherigen lateinischen messe in eine deutsche vor. Er empfahl einstweilen, die Mängel durch den Inhalt der deutschen Predigt zu ersetzen. | |
18 Auch meinte er nicht, dass der Prediger mit dem Text der Predigt durchaus an jene Perikopen gebunden sein solle; er sagt in der Schrift "Von Ordnung Gottesdiensts", der Geistliche möge morgens das gewöhnliche Evangelium, abends die Epistel predigen, doch stehe bei ihm, ob er auch (wie in den Wochengottesdiensten) ein biblisches Buch vor sich (533) nehme oder zwei, wie es ihm dünke das Nützeste zu sein. Jenes Urteil über die Perikopen wiederholte Luther auch später; er kam jedoch nie dazu, an die Änderung Hand anzulegen. | |
19 Ihre Stellung im Gottesdienste hatte bisher die Predigt, so weit sie nicht ganz vernachlässigt wurde, grösstenteils schon vor der Messe erhalten, seltener ihren Platz nach dem Evangelium (oder Symbolum) behalten: die Messe war mit ihrer Gliederung nicht mehr darauf angelegt, jene aufzunehmen, sondern vielmehr nur, auf den grossen priesterlichen Opferakt hinzuleiten. Auch Luther fand es jetzt noch gleichgültig, ob die Predigt schon vor dem Introitus oder nach dem Glaubensbekenntnis eintrete, ja ersterer Platz schien ihm insofern für sie empfehlenswerter, als die Predigt erst zum Glauben rufe und dann in der Messe mit den Abendmahl die Zueignung und der Genuss der Heilsbotschaft folge. | |
20 Die Predigt rufe als Stimme in der Wüste die Ungläubigen zum Glauben, in der Messe dagegen erfolge der nur den Gläubigen zustehenden Brauch des Evangeliums. Bald nachher aber wies er ihr vielmehr mit Bestimmtheit die zweite Stelle zu, brachte sie also in den Mittelpunkt des Gesamtgottesdienstes: ganz entsprechend seiner eignen Lehre, dass das Wort die Hauptsache in diesem sei, und dass auch schon in der Verkündigung des Wortes nicht bloss der Glaube angeregt, sondern das Heil selbst dargeboten und ausgespendet werde. (n20) | |
21 Der zweite Hauptteil der Messe, der das höchste kirchlich Mysterium in sich schliessen sollte, beganne gleich mit einem Gebet, worin der Priester Gott um gnädige Annahme des Opfers, das er für Lebende und Tote darbringe, anflehte, dem sogenannten Offertorium: ursprünglich sollten dadurch die natürlichen Gaben an Brot und Wein, welche von den Gemeindegliedern eingesammelt wurden, Gott als Dankopfer dargebracht und dankend gereicht werden (vgl oben S.336); dann aber verstand man unter dem Opfer bereits den Leib Christi, den der Priester zur Sühne für seine und der anderen Sünden opfere, obgleich die Wandlung des Brotes in den Leib erst nachher sollte vollzogen werden. Nach diesem Gebet hob der Priester erst an, die Gemeinde zu begrüssen in der sogenannten Präfation mit dem "Der Herr sei mit euch", sie zu ermahnen mit "Aufwärts die Herzen", und sie aufzurufen zum Danke gegen Gott mit der alten, erhabenen Gebetsform "Wahrhaft würdig und recht ist's u. s. w.", woraus der Chor feierlich einstimmte mit den lateinischen Gesängen: "Heilig, heilig, heilig ist der Herr Gott Zebaoth u. s. w." (dem Sanctus aus Jes. 6,3) und "Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn" (dem Benedictus, Psalm 118,26). | |
22 Dann trat jener Messkanon ein, in welchem der Priester mit ausführlichen Gebeten sein Opfer darbringt zum Besten der christlichen Kirche, der Lebenden und der Toten; dazwischen spricht er zur Konsekration von Brot und Wein die Eintsetzungsworte Christi, die nach Luther hier unter den Opfergebeten sich ausnehmen wie die Bundeslade inmitten des Götzentempels Dagons (1 Sam 5,2); damit vollzieht er das Wunder der Wandlung und hebt nun Hostie und Kelch empor, vor welchen die Gemeinde anbetend niedersinkt (Elevation). Ein Stück der Hostie legt er inden Wein, isst die Hostie und trinkt aus dem Kelch; erst hintennach folgt die Austeilung der Hostie an Gemeindeglieder, ohne den Kelch (wenn Kommunikanten da sind). | |
23 Jenes Offertorium also und diese Gebete des Kanon waren im evangelischen Gottesdienst abgetan. Statt dessen eröffnet bei Luther den weiteren Akt diie Präfation bis zu dem Gebete: "Würdig und recht, billig und heilsam ist es, dass wir Dir, heiliger Herr, allmächtiger Vater, allzeit Dank sagen u. s. w." Hieran reihen sich die Worte von der Einsetzung des Abendmahles nach 1 Kor 11,23-25. Und (534) zwar sollten diese nicht nach der katholischen Vorschrift leise gesprochen, sondern vernehmlich für diie Abendmahlsgäste gesungen werden. Hinter die Weihung des Brotes und Weines durch diese Worte stellt Luther den Gesang des Sanctus und Benedictus, das Gebet des Vaterunsers und den Gruss: der Friede des Herrn sei mit euch; dann soll der Geistliche mit der Gemeinde das Abendmahl unter beiden Gestalten nehmen, indem er es zuerst sich selber, dann den andern reicht. | |
24 Besser, meinte Luther, würde es allerdings der ursprünglichen Einsetzung des Mahles durch Jesus entsprechen, wenn gleich nach der Weihung des Brotes dasselbe ausgeteilt würde und ebenso der Kelch, wonach jene Zwischenstücke wegfallen müssten; doch war ihm das wieder des Neuen zu viel. Unter dem Gesang des Benedictus wies er auch noch der Elevation ihre Stelle an, die, wie wir eben hörten, der Schwachen wegen beibehalten werden sollte; im Wittenberger Augustinerkloster unterblieb sie übrigens, während sie in der Stadtkirch fortbestand. (n24) | |
25 Das Legen der Hostie in den Wein schaffte er ab. Auch die alte Sitte, den Wein mit Wasser zu mischen, schien ihm nicht gerechtfertigt, und sie wurde hernach in den lutherischen Kirchen abgetan. In der tieferen Bedeutung, welche man diesem Brauch geben wollte, als einem Abbild unsrer Vereinigung mit Christo, sah er menschliche Träumerei. Im übrigen meinte er, dem Herrn sei an einer solchen Frage nicht viel gelegen, und sie sei des Streites nicht wert. | |
26 Wollte Luther schon von jenen Bestandteilen des Gottesdienstes ein bindendes Gesetz des Tuns oder Lassens möglichst fern halten, so vollends in Bezug auf äussere Zutaten und Ausschmückungen desselben, wie Lichter, Messgewänder u. dergl. Dass man Lichter oder dass man Weihrauch anzünde, wollte er weder verwehren, noch fordern. | |
27 In Betreff der Kleidung dringt er nur darauf, dass man Pomp und Luxus meide, auch dass man die Gewänder nicht weihe, als ob sie ine sonderliche Heiligkeit vor andern Kleidern haben sollten. Gott, sagt er, hat kein grösseres Wohlgefallen an einem Geistlichen, der in Gewändern, kein geringes an einem, der ohne Gewänder das Sakrament verwaltet. In der Wittenberger Pfarrkirche trug der Geistliche noch Alba und Kasel, d. h. das weisse heimdartige Gewand und das ärmellose Obergewand des Messpriesters: in der Klosterkirche nicht mehr. (n27) | |
28 So wenig der neue Gottesdienst bis dahin von den überlieferten Formen aufgegeben hatte, so fanden ihn doch Anhänger des alten bereits ärmlich und gemein. Luther aber verwies die Wittenberger Stiftsherren hiergegen auf die armselige Erscheinung Christi neben der Herrlichkeit des jüdischen Kultus und auf die Fülle und Kraft, womit Christus in Glauben und Liebe durch jenen geringen Kultus sich betätigen werde. (n28) | |
29 Luthers Verhalten zu den Feiertagen der Heiligen ist schon oben (S. 522) angegeben worden. Auch soweit er diie einzelnen Christen bei ihrer Verehrung der Heiligen noch beliess, sollte doch für die Gemeinde keinerlei Gottesdienst aufgerichtet werden, der nicht festen Grund in Gottes Wort hätte. | |
30 Für die Woche wünschte Luther, entsprechend den katholischen Metten (Frühgottesdiensten) und Vespern und zugleich an Stelle der Privatmessen, auf jeden Morgen und Abend eine Versammlung, wo ein Stück aus der Schrift verlesen und ausgelegt und Bitte und Danksagung mit Psalmen und andern Gesänden Gott dargebracht werde, und zwar sollten hier regelmässig ganze Bücher des Alten und Neuen Testaments zum Vortrage kommen, bis die ganze Bibel ausgelesen sei. Er hoffte, es werde sich wenigstens ein kleinerer Haufe dazu finden, und wollte wenigstend die Schüler und künftigen Geistlichen dazu anhalten. |
31 Wo einer Gemeinde die täglichen (535) Lektionen zu viel wären, genügten ihm auch drei in der Woche, während an den andern Tagen wenigstens die Knaben mit Psalmen und Gesang geübt werden möchten. (n31) In der Wittenberger Pfarrkirche fand seit 1523 wirklich täglicher Gottesdienst mit Predigt statt (oben S. 512. 522). Wenn jemand während der Woche des Sakraments bedürftig sei, sollte es ihm in diesen Gottesdiensten gereicht werden. Für die Anordnung der Lektionen und Gesänge warnt Luther vor zu grosser Länge, vor ermüdender Gleichförmigkeit und nicht minder vor übermässiger Abwechslung. Er fürchtet, dass durch das eine und andere die Seelen müd und überdrüssig würden. Die Rücksicht hierauf macht er neben der Rücksicht auf die Schwäche der am alten hängenden Gemeindeglieder überhaupt am meisten geltend. | |
32 Bei allen seinen Ratschlagen aber wiederholt Luther immer wieder, dass sie nicht bindend sein sollten, dass Mannigfaltigkeid zugelassen, ja erwünscht sei. Sein Freund Hausmann, der besonders viel wegen der Formen des neuen Kultus mit ihm verkehrte, kam auf den Gedanken, dass über die kirchlichen Ceremonien ein Konzil unter den evangelisch Gesinnten veranstaltet werden möchte. Allein ihm schien dies gefährlich: den die Konzilien seien von Alters her immer auf Satzungen, Werkdienst und unnütze Fragen geraten; möge eine Gemeinde dem Vorbild der andern frei folgen oder ihre eigne Weise lieber haben: es genüge die Einheit des Geistes im Glauben und Wort bei aller Verschiedenheit im Fleischlichen und Weltlichen: Anderseits musste er freilich, wo er einer Gemeinschaft Händel über die Formen ausbrachen, nicht minder zur Einigung ermahnen: aber sie sollte erreicht werden durch liebevolles Nachgeben in den freien Dingen. (n32) | |
33 Das nächste dringende Bedürfnis, welches nun weiter in der evangelischen Gestaltung des Gottesdienstes befriedigt werden musste, betraf dessen Sprache. Denn nacn der katholischen Sitte und Satzung wurden jene Gesänge, Gebete und Schriftlektionen der Messe alle lateinisch vorgetragen. Nur hie und da liess man an hohen Festen die Laien in der Kirche eines jener geistlichen deutschen Lieder anstimmen, welche schon in den vorigen Jahrhunderten, zum teil aus lateinischen Hymnen, entstanden und dem frommen Volke viel mehr als dem römischen Klerus wert geworden waren; wir haben ihrer und der Art, wie Luther ihrer gedachte, schon bei der Geschichte seiner Kindheit Erwähnung getan; das waren aber nur vereinzelte Klänge neben der alles beherrschenden fremden Kirchensprache. So wurde denn auch die evangelische Messe in Wittenberg unter Luther noch einige Zeit lateinisch gehalten: natürlich mit Ausnahme der Predigt, auf welche jetzt so grosse Gewicht gelegt wurde. | |
34 In seiner "Form der Messe" sprach Luther schon das ernstliche Verlangen aus, dem Bedürfnis abzuhelfen. Er wünscht den Zeitpunkt herbei, wo in der deutschen Messe in den Lektionen die schönsten und wertvollsten Schriftabschnitte der Gemeinde vorgelesen und vertraut gemacht werden können. Vor allem aber sehnt er scih nach möglichst viel deutschen Gesängen, und diese sollten dann nicht nur vom Chor, sondern vom Volke gesungen werden. Es war ihm zweifellos, dass das Volk ursprünglich auch (536) die bisher üblichen Messhymnen gesungen und selber dem Geistlichen respondiert habe. | |
35 Nach seiner Ansicht konnten deutsche Lieder zunächst mit den lateinischen abwechseln, bis endlich die ganze Messe deutsch werde. Noch bedauerte er, keine Dichter und Musiker zu kennen, welche deutsche Lieder setzen möchten, die des kirchlichen Gebrauches würdig wären. Unter den bisher vorhandenen fand er nur wenige, welche den echten Geist hätten. Doch hob er drei von diesen aus, die man einstweilen singen möge: das Abendmahlslied "Gott sei gelobt und gebenedeiet, der uns selber hat gespeiset", das Pfingstlied "Nu bitten wir den heiligen Geist", das aus einer Strophe bestehend schon seit dem 13. Jahrhundert uns begegnet, und das Weihnachtslied "Ein Kindelein so löbelich ist uns geboren heute". Mit seiner Schrift wollte er deutsche Poeten, wo immer solche wären, zu eignen Versuchen anregen. | |
36 Eifrig verfolgte er selbst jetzt weiter diese schöne Aufgabe. Er sah sich um nach solchen Dichtern. Wiederholt trieb er namentlich den jetzt in Nürnberg weilenden Spalatin an, der ein gar reiches und elegantes Deutsch zu sprechen verstehe, dass er Psalmen für den deutschen Kirchengesang bearbeiten möge; dabei empfahl er ihm, alle neumodischen und höfischen Ausdrücke zu meiden, so einfach und volkstümlich als möglich zu reden, den Sinn durchsichtig auszudrücken und dem Sinn der Psalmen recht nahe zu bleiben. Schon sandte er ihm, zu Anfang des Jahres 1524, auch die Probe einer solchen Arbeit aus seiner eignen Feder, bekannte jedoch, selber nicht so viel Gabe zu haben, dass er leisten könnte, was er möchte. | |
37 Die gleiche Bitte richtete er an den fürstlichen Hofmarschall Johann Dolzig. Beiden Männsern schlug er auch bestimmten Psalmen vor. Von keinem der beiden erreichte er jedoch etwas. Dagegen dichtete ihm in Wittenberg Jonas, der bisher unter den lateinischen Poeten sich einen Namen gemacht hatte, einen Gesang auf Grund des 124. Psalms ("Wo Gott der Herr nicht bei uns hält etc."). Luther sendete ihn am 14. Januar an Spalatin. Agricola dichtete Psalm 117 um: "Fröhlich wollen wir Halleluja singen"; das Lied erschien schon Mitte Januar im Druck. Ferner hatte Luther eben damals, sein Ende des Jahres 1523, in der Person des schon erwähnten Paul Speratus, eines schwäbischen Theologen, der in Mähren bereits dem Märtyrertod fürs Evangelium nahe gewesen war, eine der tüchtigsten Kräfte für die Schöpfung eines deutschen Kirchenlieds an seiner Seite, -- freilich nur bis zum folgenden Sommer, wo derselbe nach Preussen abging. (n37) | |
38 Dieser steuerte jetzt für das gemeinsame Werk drei Lieder bei, darunter sein berühmtestes "Es ist das Heil uns kommen her von Gnad und lauter Güte", das mit seinem Zeugnis von der Gnade und Glaubensgerechtigkeit alsbald eine mächtige Waffe für die Verbreitung des (537) Evangeliums durchs deutsche Volk hin geworden ist, wenn es auch dem Charakter eines Liedes mit seinem lehrhaften Inhalt und Tone nicht genug tut. Der in Wittenberg weilende Schweizer Erhart Hegenwalt dichtete Ps. 51 um zu dem Liede "Erbarm dich mein, o Herre Gott", das schon am 8. Januar als Einzeldruck erschien. Weitaus das Bedeutendste, Wirksamste und Fruchtbarste waren aber Luthers eigne Beiträge, so gering sie noch an Zahl waren, und so bescheiden er selbst über sie urteilte. | |
39 Durch ihn und die Gesänge, die er jetzt verfasste und herausgab, ist das Jahr 1523 und 24 zum eigentlichen Geburtsjahr für unser Kirchenlied geworden. Die Meinung, Luther werde einen Teil dieser Lieder schon vor Jahren gedichtet und jetzt nur hervorgeholt haben, wird schon dadurch widerlegt, dass zwischen seinen Psalmenliedern und der Psalterübersetzung von 1523/24 (unten S. 572) enger Zusammenhang besteht -- die Lieder haben die neue Übersetzung bereits zur Voraussetzung. (n39) | |
40 Schon im Sommer des Jahres 1523 hatte Luther einen frischen vollen und überaus glücklichen Griff in seine Saiten getan, indem er den Tod zweier niederländischer Märtyrer besang. Wir kommen auf dieses Lied unten (Kap. 7) zurück, wo wir von seiner Veranlassung zu reden haben werden. Es erschien wohl schon damals einzeln gedruckt, obgleich wir keines der ursprünglichen Exemplare mehr besitzen. Luther erhebt sich hier mit einem Male als gewaltiger Volksdichter. Seine Begabung dazu hatte er freilich schon längst in dem kräftigen, lieblichen, echt volkstümlichen poetischen Geist und Ton kund gegeben, der so oft auch in seinem prosaischen Schriften durchklingt und sich entfaltet. | |
41 Im gleichen Jahr verfasste er sein erstes für den gottesdienstlichen Gebrauch geeignetes Lied: "Nu freut euch, lieben Christen gemein, Und lasst uns fröhlich springen", und machte sich, wie er dies auch seinen Freunden riet, an eine Umarbeitung von Psalmen für den deutschen Gesang. So entstanden zunächst: "Ach Gott vom Himmel sieh darein", "Es spricht der Unweisen Mund wohl", "Aus tiefer Not schrei ich zu dir". Zahlreiche ander Lieder folgten 1524. | |
42 Veröffentlicht wurden seine Lieder auf verschiedenen Wegen. Einzelne flogen auf einzelnen Blättern aus: so besitzen wir noch von 1524 einen solchen Druck von "Nu freut euch, lieben Christen gemein"; ein andres Blatt enthält das "Gelobet seist du, Jesu Christ", ein andres das von ihm übersetzte Lied des Hus "Jesus Christus, unser Heiland". Speratus fügte seiner Verdeutschung der Formula Missae das "Es wollt und Gott genädig sein", sowie jenes Psalmenlied Agricolas bei. Es erschienen aber auch schon in rascher Folge etliche Sammlungen: das sogenannte Achtliederbuch "Etliche christliche Lieder ... in der Kirche zu singen, wie es denn z. B. bereits in Wittenberg in Übung ist", unter seinen 8 Liedern 4 Luthersche enthaltend -- trotz des "Wittenberg" auf dem Titel wohl ein Nürnberger Druck. | |
43 Ferner druckten zwei Erfurter Druckereien um die Wette in verschiedenen Auflagen ein "Enchiridion oder Handbuchlein ... geistlicher Gesänge und Psalmen, rechtschaffen und künstlich verdeutscht", (538) wo unter 25 liedern 18 von Luther stammen. Endlich gab Joh. Walther für den Chorgesang der Jugend ein "Geistliches Gesangbüchlein" in 5 Teilen (Stimmbüchern) heraus, entsprechend seinen teils 4-, teils 5stimmigen Kompositionen, mit 32 deutschen Gesängen, von denen 24 Luther angehören. | |
44 Letztere Sammling ist die einzige, die Luther als eine von ihm selbst veranstaltete bezeichnet. In der Vorrede erninnert er daran, wie es gut und Gott angenehm sei, geistliche Lieder zu singen nach dem Beispiel der Propheten und Könige im Alten Testament, diie mit Singen und Dichten Gott gelobt, und der gemeinen Christenheit von Anfang an. Demnach habe er samt etlichen Genossen zu einem guten Anfang und Ursach für andre, die es noch besser vermöchten, etliche Lieder zusammengebracht, um das heilige Evangelium, so jetzt von Gottes Gnaden wieder aufgegangen, zu treiben und in Schwung zu bringen. | |
45 Dazu seien sie in vier Stimmen gebracht aus keiner andern Ursach, als weil er gerne wolle, dass die Jugend, die doch sonsst in der Musik und rechten Künsten erzogen werden müsse, etwas hätte, damit sie statt der Buhllieder und fleischlichen Gesänge etwas Heilsames lernte und das Gute ihr mit Lust einginge, auch weil er nicht der Meinung sei, dass durchs Evangelium, wie etliche "Abergeistliche" vorgäben, alle Künste zu Boden geschlagen würden, sondern er wolle alle Künste, sonderlich die Musica, gern sehen im Dienste des, der sie gegeben und geschaffen habe. -- | |
46 Die spezielle Bestimmung des Gesangbüchleins für die Jugend und näher noch für Schüler städtischer Schulen zeigte sich auch in der Beigabe von fünf lateinischen Gesängen. Durch die in den Schulen dazu gebildete Jugend sollten auch die Gemeinden den Kirchengesang lernen. Die andern Sammlungen bieten, für die Hand der Gemeinde bestimmt, nur die einstimmige Melodie oder geben auch nur an, in welchem "Ton" das Lied gesungen werden, setzen also eine Reihe von Melodien als bekannt voraus. -- Meist nummt man an, diese Sammlungen seien in der Reihenfolge erschienen, dass die kürzeste die frühste, die reichhaltigste die späteste unter ihnen war. | |
47 Es ist aber unwahrscheinlich, dass Luthers und seiner Wittenberger Genossen Lieder zuerst in Nürnberg gedruckt sein sollten. So setzen andre Walters Chorgesangbüchlein an den Anfang und betrachten das Achtliederbuch als einen Auszug aus den grösseren Sammlungen. Wahrscheinlicher ist, dass vor letzterem eine Wittenberger (verlorene) Ausgabe voranging. Sendete doch Luther schon um Neujahr 1524 an Spalatin eine Probe seiner Psalmenumdichtungen, und dieser am 19. Januar an Pirkheimer in Nürnberg neben einer andern Schrift Luthers auch eine Sammlung "geistlicher Lieder für die Gemeinde". | |
48 Am 30. Juli 1524 schrieb der eben nach Jena berufene Prediger Antonius Musa an Joh. Lang in Erfurt: er wolle seine Geneinde etliche Psalmenlieder lehren, die sie an Stelle der früheren Vespergottesdienste singen könnte. Er habe aber nirgends, weder in Erfurt noch in Leipzig "deutsche Psalmenbücher Luthers" zu kaufen bekommen; da habe ihn der Rat von Jena gebeten, doch etliche dieser Psalmen, 12 oder 15, in Erfurt drucken zu lassen. Da er selber jetzt nicht reisen könne, so bitte er Lang, auf Kosten der Stadt Jena ein "Enchiridion" von 15 Psalmen herstellen zu lassen. Wahrscheinlich eröffnet uns dieser Brief einen Einblick in die entstehung des Erfurter Enchiridion. Am 6. Juli reiste Jonas von Wittenberg zu Lang: sehr möglich, dass nun diese beiden den von Musa erbetenen Druck besorgten -- erscheint doch ein Lied des Jonas hier zum erstenmal. Danach setzte aber auch das Erfurter Enchiridion schon eine ältere, und zwar reichhaltigere Sammlung Lutherscher Lieder voraus. (n48) | |
49 Die vierundzwanzig Lieder Luthers, welche demnach im Jahre 1524 (539) veröffentlicht waren, geben bereits ein umfassendes Bild seines Dichtens und seiner ganzen Tätigkeit fürs Kirchenlied. Es sind später nur noch zwölf zu ihnen hinzugekommen, darunter freilich die Krone aller, "Ein feste Burg ist unser Gott", und so eigentümliche und bedeutsame Lieder wie "Vom Himmel hoch da komm ich her" und "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort". Luthers Gabe und Art zeigt sich indessen bei jenen schon wie bei diesen. (n49) | |
50 Nur sehr wenige seiner Lieder sind ganz frei gedichtet, d. h. ohn ebestimmten Anschluss an biblische oder kirchliche Texte. Vor allem wollte er, wie wir sahen, Psalmen für seinen Zweck benutzen. Unter seinen sechs hierher gehörigen Liedern, welche 1524 erschienen, können wir wohl als die bedeutendsten das "Aus tiefer Not" (in zwei Bearbeitungen) und "Es wollt uns Gott genädig sein" (nach Ps. 67) bezeichnen. Die zehn Gebote fasste er zweimal, das eine Mal länger, das andere Mal kürzer, in Verse und Melodie. Aus den Worten des auf der Schwelle des Neuen Bundes stehenden Simeon entsprang ihm sein Gesang "Mit Fried und Freud fahr ich dahin". -- | |
51 Von den deutschen Gesängen, welche schon bisher im Mundes des Volkes lebten, blieben ein paar einfach mit ihrem bisherigen Texte bei den Evangelischen im gottesdienstlichen Gebrauch und wurden darin neu gepflegt, bedurften daher auch nicht erst der Aufnahme in Luthers Gesangbüchlein: so jenes "Ein Kindelein so löbelich", das Luther so hoch schätzte, und der Ostergesang "Christ ist erstanden von der Marter alle etc.". An einen andern alten deutschen Vers aber, der vor Weihnachten in der Messe nach jener kurzen, auch von Luther gebilligte lateinische Sequenz gesungen wurde, reihte er selbst jetzt eine Anzahl weitere Strophen: er gab hiermit unsere Kirche das Lied "Gelobet seist du Jesu Christ". | |
52 Auf Ostern dichtete er das längere Lied "Christ lag in Todes Banden"; es lässt die Grundtöne jenes "Christ ist erstanden" noch reicher erklingen, führt den Gedanken einer lateinischen Ostersequenz aus von dem "wunderlichen Krieg, da Tod und Leben rungen", und ermuntert auch Pauli worten (1 Kor 5,8) zu des rechten Ostermahles froher und lauterer Feier. In kurzer altertümlicher Form verfasste er ein anderes Osterlied: "Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand etc". Für Pfingsten vermehrte er jenen Gesang "Nu bitten wir den heiligen Geist" um drei Verse. Ebenso entstand unser köstliches Pfingstlied: "Komm heiliger Geist, Herre Gott"; den erste Vers, die Übersetzung eines alten lateinischen, fand Luther bereits vor. Als Danklied fürs Abendmahl gestaltete er den algen Gesang "Gott sei gelobet und gebenedeiet" um, die erste Strophe beibehaltend. | |
53 Ferner eignete Luther dem evangelischen Gottesdienste die Grundstücke zweier deutscher Gesänge an, welche besonders bei sogenannten Bittgängen gebraucht worden waren. Daraus wurden die Lieder "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen", und "Gott der Vater wohn uns bei"; der erste Vers von jenem var die Übersetzung einer alten lateinischen sogenannten Antiphone, letzteres sang man bisher als "Sancta Maria (oder Sanctus Paulus u. s. w.) wohn uns bei". Bei den Bittfahrten der Kreuzwoche (nach Sonntag Rogate) wurden auch die zehn Gebote in deutschen Versen schon früher gesungen; Luther scheint bei seiner Bearbeitung derselben eine ältere vor Augen gehabt zu haben. -- | |
54 Unmittelbar aus dem Lateinischen übertrug Luther drei alte Gesänge: "Komm, Gott Schöpfer, heiliger Geist", "Nu komm, der Heiden Heiland" und "Christum wir sollen loben schon". Neben diesen Erbstücken der katholischen Kirche nahm er ein Abendmahlslied des verketzerten Huss in freier Überarbeitung auf: "Jesus Christus (540) unser Heiland, Der von uns den Zorn Gottes wand". -- Er wollte endlich schon jetzt das Bekenntnis des christlichen Glaubens, das der Priester bei jeder Messe zu sprechen hatte, der Gemeinde selbst in den Mund legen: hierfür dichtete er sein "Wir glauben all an einen Gott etc.", das also Ersatz des nicäno-constantinipolitanischen Symbolums sein sollte, wobei aber bedeutsam in den Worten: "der sich zum Vater geben hat, dass wir seine Kinder werden" Luthers religiöse Verständnis des 1. Artikels Ausdruck fand. Zugleich wurde es wertvoller Ersatz für ein schon vorhandenes mittelalterliches Credo-Lied, nach dessen Melodie er es dichtete. (n54) | |
55 Luthers eigne dichterische Kraft trat am wenigsten im Tätigkeit bei der Übersetzung jener Hymnen; dagen sehr wesentlich nicht bloss bei den Liedern, zu welchen er jene deutschen Erstlingsgesänge erweiterte, sondern besonders auch bei seinen Psalmliedern. Denn er meinte mit dem Anschluss an die biblischen Textgedanken, welche er Spalatin anempfahl, keineswegs eine blosse gereimte Übersetzung. Der Inhalt der Psalmen ist vielmehr in seinem Geist und Gemüt wieder lebendig geworden, dazu in neutestamentlichen Sinn und christlicher Herzenserfahrung gleichsam neu geboren, auf die Erlebnisse, Kämpfe und Gefahren der gegenwärtigen Christenheit bezogen, sodann mit frischem Fluss in selbständige poetische Formen gegossen. Man vergleiche nur jenes "Auf tiefer Not", dann von den späteren Liedern "Ein feste Burg", welches er selbst als "sechsundvierzigsten Psalm" eingeführt hat. | |
56 Für die Würdigung der lieder muss übrigens auch der verschiedene kirchliche Zweck, dem sie dienen, in Betracht gezogen werden. Es ist zu unterscheiden zwischen denjenigen, welche die inneren Bewegungen des christlichen Gemütes mit seinem Fühlen und Verlangen, seinem Schmerz und Jubel, seinem Bitten, Danken und Preisen wiedergeben, und zwischen Gesängen, welche vielmehr nur Ausdruck des Bekenntnisses und der an die Gemeinden sich richtenden Lehre und Vermahnung sind, wie namentlich der Gesang der zehn Gebote, das "Wir glaben all", auch das Hussche Abendmahlslied. | |
57 Je mehr das erstere der Fall ist und demnach die Gesänge den Charakter des eigentlichen Liedes tragen, desto mehr zeigt sich überall, wo Luther selbständig gedichtet hat, seine Begabun für diese Dichtung. In edeln, kräftigen, männlichen Klängen und daneben kindlich einfältig und zart ertönt die lautere religiöse Empfindung, der Aufruf zu dem Gott der Gnade und insbesonderre die frohe Kunde von ihr, die freudige Zuversicht zu ihr, der feste trotzige Mut gegen die ihr feindlichen Mächte. Immer aber sieht man: es sind Lieder für den Gemeindegottesdienst, die Luther geben wollte. Sie sagen und singen nur, was für Herz, Geist und Mund der Gemeinde und jedes einfachen evangelischen Christen sich eignete. | |
58 Er wollte in ihnen nicht etwa die ganze Eigentümlichkeit seines persönlichen innern Lebens und (541) religiösen Denkens zum Ausdrucke kommen lassen: er führt darin nicht bis in jene tiefsten, geheimnisvollen innern Anfechtungen und Kämpfe ein, unter welchen er selbst oft klagte, die aber nciht alle ebenso zu bestehen hatten, noch gebraucht er jene tief mystischen Aussagen von der Einigung der Seele mit Gott und dem Heiland, die er sonst oft vorträgt, die aber doch nicht zur allgemeinen und gemeinverständlichen Sprache evangelischen Christentums gehören, und die so leicht von einer unreifen oder überstiegenen Frömmmigkeit und Phantasie missbraucht werden. | |
59 Seine Sprache und Form schloss sich an diejenige an, welche er in den bereits under dem Golk lebenden kirchlicnen Gesängen und ferner im frischen, gesunden Volkeliede vorfand. Nicht immer ist, auch bei seinen eigentlich so zu nennenden Liedern, das Metall des Inhaltes gleichmässig in dichterischen Fluss gekommen; auch dann aber, bei mancher Härte und Schwerfälligkeit, wirkt seine Sprache durch gediegene Kraft und Schlichtheit. In seiner durchweg volkstümlichen Art meidet er die Künstelei, in welche die deutsche Dichtkunst seinerzeit hineingeraten war, und welche z. B. öfters auch im Versbau eines Speratus, ferner in Versen Zwinglis auf eine uns befremdende Weise hervortritt. Und zugleich zeigen seine Verse da, wo er in freier, lyrischer Bewegung dichtet, eine gewisse natürliche Kunst, die auch den besten Volksliedern eigen blieb und dagegen der kunst- oder schulgemässen Dichtung verloren gegangen war: namentlich auch grösstenteils einen, den Inhalt angemessen kleidenden und zur Melodie passenden Rhythmus, -- einen glücklichen Wechsel von betonten und unbetonten Silben, während damals die deutsche poetische Technik die Verse nur nach der Zahl der Silben zu messen pflegte. | |
60 Das letztere hat auch er namentlich bei Übersetzungen alter Hymnen getan. Um so mehr wird, verglichen mit diesen, der einfache Rhythmus bei Liedern wie "Nu freut euch, lieben Christen gmein" oder "Aus tiefer Not", und nicht minder der eigentümlichere wie bei "Gelobet seist du, Jesu Christ" und ferner bei "Ein feste Burg" wirksam und wohltuend in ein achtsames Ohr fallen. |
61 Woher kommen nun aber die Melodien zu diesen neuen Liedern? Die Verehrung für Luther hat dahin geführt, ihn auch zu einem bedeutenden Komponisten machen zu wollen, und man hat daher viele dieser Weisen mit seinem Namen geschmückt. Ernste Forschung hat diese Meinung zerstört. Vielmehr war es das Nächstliegenden, den Schatz schon vorhandener Sangesweisen zu benutzen. Das geschah bei lateinischen Liedern, die Luther übersetzte -- so bei "Christum wir sollen loben schon" und "Komm, Gott Schöpfer". Auch die alten Leisen, die Luther neu bearbeitete, hatten ihre alten Melodien; diese behielt man natürlich bei, so bei "Christ lag in Todesbanden", "Nu bitten wir den heiligen Geist", "Gelobet seist du, Jesu Christs". | |
62 Andere Lieder passte man älteren Melodien an, so "Dies sind die heilgen zehn Gebot" der alten Melodie des Wallfahrtsliedes "In Gottes Namen fahren wir", und "Gott der Vater wohn uns bei" dem alten"Sankta Maria wohn uns bei". Für andere (542) Lieder, die ältere Vorlagen bearbeiteten, benutzte Walther die alten Weisen und schnitt sie zurecht, dass sie für den Rhythmus des neuen deutschen Textes passend wurden: so bei Hussens Lied, bei "Komm heiliger Geist", "Mitten wir im Leben sind". Auchn für das "Wir glauben all an einen Gott" fand sich in einer aus dem Anfang des 15. Jahrhundersts uns erhaltenen Singweise des Credo die Vorlage. | |
63 Auch manche andere, für die wir noch nicht mittelalterliche Vorlagen gefunden haben, werden dem reformatorischen Liederschatz angehören. Für andere schuf Walther neue Melodien ("Aus tiefer Not", "Ein neues Lied wir heben an", "Mit Fried und Freud" u. a.). Ob, wie neuere Forschung vermutet, wenigstens die neue einfache Melodie zu "Nu komm der Heiden Heiland" von Luther selbst stammt, -- neben der älteren, zu künstlichen Weise -- wird sich nicht feststellen lassen. (n63) | |
64 So wurden Mittel beschafft für einen deutschen Gottesdienst, an welchem auch das Volk lebendig sich beteiligen könnte. Und die Bedeutung der neuen Lieder erstreckte sich sogleich noch viel weiter als auf ihren Gebrauch in den Kirchen. In einer Menge von Ausgaben, auch einzelnen fliegenden Blättern verbreitet und nicht minder von Mund zu Mund fortgepflanzt, gingen die besten under ihnen schnell ins Singen und Sinnen des Volkes überhaupt über und trugen den Samen des evangelischen Wortes, aus welchem sie selbst entsprungen waren, mit frischer Triebkraft weiter. Wie schnell die neuen Lieder sich einbürgerten, zeigte sich nach Jajresfrist beim Begräbnis des Kurfürsten. Hier wurden bei der Prozession wie in der Kirche neben lateinischen Gesängen auch "Aus tiefer Not", "Mitten wir im Leben sind", "Wir glauben all an einen Gott" und "Nu bitten wir den heiligen Geist" gesungen. (n64) | |
65 Gleichwohl fand Luther schon nach etlichen Jahren Grund, mit dem zu lauen Gesang der Gemeinde unzufrieden zu sein; er richtete daher (am 24. Januar 1529) im Gottesdienst ein Mahnwort an sie: täglich sängen ihnen die Schüler die deutschen Lieder vor, nun sollten sie dieselben endlich gelerht haben; aber weltliche Lieder ("Zeuterlliedlein") seien ihnen lieber als jene. Jeder Hausvater solle die Seinen darin unterweisen, denn sie seien die Bibel der Einfältigen und auch der Gelehrten. "Wie werden die Frommen durch diese Lieder entflammt! Sorget also fleissig dafür, dass ihr sie besser als bieher lernet und singet!" (n65) | |
66 Mit Hausmann verhandelte Luther ferner auch über die Verdeutschung desse, was der Geistliche in der Messe vorzutragen hatte. So schickte er ihm 1525 den Entwurg zu einer Vermahnung an die Gemeinde vor dem Übergang zum Abendmahl. Und zwar sieht man hier recht deutlich bei ihm das Übergewicht des einfach praktischen Interesses über ein ästhetiscfhes oder poetisches. Die schlichte prosaische Vermahnung sollte an die Stelle jener freilich schönen und erhaben, aber dem gemeinen Bedürfnis doch nicht entsprechenden "Präfation" treten, von der wir in der "Formula Missae" hörten. An andern Orten kam man Luther und den Wittenbergern in diesen Stücken noch zuvor. So hatten evangelische Prediger Nürnbergs (543) eine solche Abendmahlsvermahnung schon 1524 in eigner Weise trefflich gefasst, wie sie dann auch sogleich nach Breslaus und später in mehrere lutherische Kirchenordnungen überging. (n66) | |
67 Überhaupt eilten andre ihm in der Verdeutschung des Gottesdienstes voran. Wie Carlstadt schon Weihnachten 1521 in seinen Wittenberger Reformen damit begonnen, so hören wir schon 1522 aus Basel, Zweibrücken, Nördlingen von Versuchen dieser Art. 1523 gab Münzer der Allstedter Gemeinde eine deutsche Messe, und auch unter Oekolampads Namen erschien eine verdeutsche Gottesdienstordnung. 1524 mehren sich die Orte, von deren deutschem Gottesdienste wir hören: Wertheim, Wendelstein, Reutlingen, Sonnenwalde, Reval; vor allem Strassburg, dessen neue Ordnung auch durch Druckschriften bekannt gegeben wurde; auch in Nürnberg rückte die Verdeutschung schrittweise vor. | |
68 In Sachsen selbst kam die deutsche Messe 1524 in Altenburg, Leisnig, Herzberg, SXchweinitz zur Einführung, auch in Weimar machte man wenigstens den Anfang durch den Gebrauch deutscher Lektionen. Luther hielt dagegen noch zögernd zurück; er war gegen sich und seine eignen Versuche besonders streng; noch im November 1524 schrieb er an Hausmann, dass er die deutsche Messe, die jener von ihm haben wollte, mehr wünsche als verspreche, denn er sei dem Werk, das Tonkunst und Geist zugleich erfordere, nicht gewachsen. (n68) -- | |
69
Viel schneller liess er Anweisungen für eine Umgestaltung der Taufe
ausgehen: sein "Taufbüchlein verdeutscht" (vor Pfingsten 1523).
Es hat einem dogmatischen Grund, dass Luther die Verdeutschung liturgischer Formulare beim Taufbüchlein beginnt. Er ist überzeugt, dass das Kindleon der Taufe mit Glauben entgegenkommt. Diesen denkt er sich als Frucht und Wirkung des gläubigen Gebetes des Täufers und der Paten bei der Tauffeier. Sollen diese mit Ernst mitbeten, dann müssen sie verstehen, was man redet und handelt. Die katholische Taufliturgie hatte damals einen festen Typus, zeigte aber in den einzelnen Diözesen manche kleinere Abweichungen. Luther legte, ohne besondere liturgische Studien anzustellen, das in Wittenberg übliche Formular zu grunde, liess die zahlreichen Ceremonien, mit denen die katholische Taufliturgie überladen ist, obwohl sie ihm missfielen, um der "schwachen Gewissen" willen bestehen, kürzte nur die Wiederholungen und Weitschweifigkeiten bei den Exorzismen. |
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70 Die biblische Lektion aus Mark. 10,13ff. stellte er nicht erst ein -- wie früher allgemein angenommen wurde, er fand sie schon in der katholischen Taufordnung vor -- -erst das spätere Rituale der römischen Kirche hat sie getilgt. Ob das lange eigenartige "Sintflutgebet", dem wir bei ihm begegnen, das noch in keiner Taufliturgie vor ihm angetroffen ist, dann aber nicht nur im ganzen Gebiete des Protestantismus, auch z. B. iin der Schweiz, Dänemark, England Aufnahme findet, sondern sogar in einer katholischen Taufliturgie erscheint, von ihm selbst verfasst worden ist, oder ob es, worauf Inhalt und Ausdruck führten, schon älterer Herkunft ist, lässt sich bisher nicht sicher ermitteln. -- Der Täufling wird zum Beginn des Aktes noch dreimal angeblasen, indem der Geistliche den Exorzismus spricht ("Fahr aus, du unreiner Geist" u. s. w.); nachher legt ihm dieser (544) Salz in den Mund als "Salz der Weisheit", berührt ihm das Ohr mit Speichel, salbt ihn auf Brust und Rücken mit dem heiligen Öl u. s. w. Luther Vorgehen auf diesem Gebiete veranlasste zahlreiche Nachahmungen, besonders in Franken, aber auch in Breslau; und selbst in Zürich lehnte sich Leo Juds Taufform 1523 sichtlich an Luthers Arbeit an. | |
71 Und noch 1528 schuf Hans Tausen dem evangelisch gewordenen Dänemark eine Taufliturgie, die Luthers Büchlein treulich nachahmt. Andere Wege schlug dagegen Thomas Münzer ein, der bereist zu Ostern 1523 in Allstedt in deutscher Sprache zu taufen anfing und seine Liturgie 1524 veröffentlichte: soweit er noch die katholischen Ceremonien beibehält, fügt er ihnen mystisch-symbolisierende Ausdeutungen eigner Erfunden bei und legt den Schwerpunkt in die Ermahnung an die Paten, gut aufzumerken, damit sie später dem Kinde diese Handlung recht ausdeuten könnten. (n71) | |
72 Über die Zulassung zum Abendmahl (s. oben S. 523) bestimmte Luther in seiner Formula Missae: die Kommunikanten sollen sich vorher beim Pfarrer melden; dieser soll sie fragen nach ihrem Glauben, ob sie wissen, was das Abendmahl sei und nütze; ferner soll er auf ihr Leben achthaben und Ehebrecher, Hurer, Trunkenbolde, Spieler, Wucherer, Flucher und andre offenbare, infame Verbrecher ausschliessen, bis sie offenbare Beweise der Besserung gegeben haben. Auch legt er Gewicht darauf, dass die Kommunikanten in der Kirche sich vor den andern anwesenden an einen besonderen Ort zusammenstellen; denn die Gemeinschaft im Mahle des Herrn sei ein Teil ihres christlichen Bekenntnisses vor Gott, Engeln und Menschen; auch sollen sie sich deshalb so darstellen, damit man nachher um so mehr auf ihr Leben sehen und es prüfen möge. (n72) | |
73 Doch zunächst galt es, den Gegenstand des christlichen Glaubens und Erkennens oder den Grundinhalt des göttlichen Wortes eerst wieder recht in das Volk und vor allem in das heranwachsende Christengeschlecht zu bringen. Für diesen Zweck wünschte Luther ganz besonders eine kurze Zusammenstellung und Erklärung der Hauptstücke des Christentums, wonach die Jugend gelehrt, auch der gemeine Mann unterwiesen, ferner die Leute aus dem Volk, die sich zum Abendmahl meldeten, über ihren Glauben befragt werden möchten. Längst hatte Luther (vgl. oben Seite 291f) als solche Hauptstücke die zehn Gebote, das apostolische Glaubensbekenntnis und das Vaterunser bezeichnet und kurz ausgelegt. Ebendasselbe wiederholte er in einem "Betbüchlein", das er 1522 herausgab, und von dem wir unten (Kap. 5) weiter reden werden. (bet) | |
74 Jetzt sollte eine kurze Ausführung der genannten Hauptstücke eigens für den Unterricht und die Prüfung der noch Unverständigen, speziell der Jugend, hergestellt werden, mit einem Wort: ein Katekismus. Auch über dieses Bedürfnis verhandelte Hausmann mit Luther. Zu Anfang 1525 konnte ihm Luther berichten, dass jetzt Jonas und Agricola beauftragt seien, einen "Knabenkatechismus" zu entwerfen. Ohne Zweifel erkannte er bei diesen beiden Freunden Gewandtheit an in Sprache und Darstellung, bei Agricola (545) auch besondere Übung im Unterricht, da derselbe seit 1521 an der Wittenberger Kirch als "Katechet" angestellt war, um der Jugend Religionsunterricht zu geben. Sie lösten jedoch die Aufgabe nicht: Agricola wurde gleich darauf aus Wittenberg wegberufen, legte indessen nachher, in Eisleben für sich die Hand an katechetische Arbeiten, die späterhin (Buch 6, Kap 4) zu erwähnen sein werden; von einer wirklichen Teilnahme des Jonas an solchen Arbeiten hören wir überhaupt nichts. Wir werden (ebendaselbst) sehen, wie später auch hierfür Luther selbst eintrat. (n74) | |
75 In Betreff der Jugend beschränkte sich aber Luthers Streben und Fürsorge nicht bloss auf diesen religiösen Unterricht. Ihre ganze Schulbildung lag ihm am Herzen, und diese sollte nach seinem Sinn wohl vor allem wieder dem religiösen Leben und der Kirche, zugleich aber auch den andern Aufgaben und Bedürfnissen des sittlichen Lebens dienen. | |
76 Er hatte schon in seiner Schrift an den Adel des armen jungen Haufens sich angenommen, der kläglich verwahrlost heranwachse. Seither brachte gar die beginnende Reformation selbst in ihrem Gefolge Wirkungen mit sich, welche die Pflege der Wissenschaften und die wissenschaftliche Bildung der Jugend aufs schwerste zu beschädigen drohten. Wir sahen bereits, wie dieselbe von einer Seite her, nämlich durch jene schwärmerischen Reformer, verachtet, ja für gefährlich erklärt, -- wie durch sie die städtische Schule in Wittenberg zerstört wurde; ausserhalb Wittenbergs griff dann, wie unten weiter zu erwähnen ist, die Schwärmerei, welche um ihres göttlichen Geistes und ihrer göttlichen Offenbarungen willen das menschliche Studium verwarf und verdammte, noch viel stärker um sich. | |
77 Hatten doch z. B. in Erfurt Prediger behauptet, Kenntnis der alten Sprachen sei zum Verständnis der Bibel nicht erforderlich. Gegen die Verachtung der Sprachen bei den höhmischen Brüdern hatte Luther schon 1523 seine Stimme erhoben, war aber vo deren Senior Lukas abgewiesen worden (s. unten S. 637f.) Hinderlich für die Schätzung der Sprachwissenschaften wirkte ferner die Stimmung weiter Kreise des Bürgertums, die für ihre Söhne nur eine Bildung fürs praktischen Leben begehrten und die Frage aufwarfen: wozu nützt das später meinem Sohne? oder wie Capito einige Jahre später ein Kind diesen Einwand in die Worte fassen lässt: "mein Vater sagt, dass ich kein Pfaff werden soll". | |
78 Anderseits fielen mit den Klöstern und Stiften die Stätten dahin, für welche immer noch eine, wenn auch nur sehr geringe wissenschaftliche Bildung gefordert und wo sie durch einen sichern, oft glänzenden Lebensunterhalt belohnt wurde; da klagt Luther: "weil der fleischliche Haufe siehet, dass sie ihre Kinder nicht mehr sollenoder können in Klöster oder Stifte verstossen und auf fremde Güter setzen, will niemand mehr lassen Kinder lehren noch studieren". | |
79 Die Schule in Wittenberg wurde im Herbst 1523 durch Bugenhagen (546) wieder aufgerichtet. Luther gab an verschiedene Orte spezielle dringende Mahnungen, Schulen zu pflanzen und auf eine höhere Stufe zu bringen. Nichts, schrieb er nach Eisenach, sei so wichtig als die Erziehung der Jugend; nichts drohe dem Evangelium mehr Ruin, als ihr Versäumnis. (n79) | |
80 c Einen lauten, beredten Aufruf liess er ferner an die "Ratsherren aller Städte dehtschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen" zu Beginn des Jahres 1524 ergehen, welcher auch durch Obsopöus ins Latein übersetzt und dabei mit einer Vorrede Melanchthons ausgestattet wurde. (n80) | |
81 Er will zu ihnen reden, als einer, der "es von Herzen treulich meint mit ihnen und ganzem deutschen Lande, dahin ihn Gott verordnet". Man versteht ja überall wohl, was man zu tun habe vor Türken Kriegen und Wasser, was man jährlich in einer Stadt an Büchsen, Wege, Dämme wenden müsse; man hat bisher so viel Geld an Ablässe, Messen, Wallfahrten u. s. w. verschwendet: wollte man doch einen Teil davon fürs Aufziehen der Kinder geben! Gibt man einen Gulden zum Türkenkrieg, so sind hundert nicht zu viel, um einen Knaben zu einem rechten Christenmann zu bilden. | |
82 Dazu hat Gott die Deutschen jetzt so gnädig heimgesucht, ihnen ein recht golden Jahr aufgerichtet, die feinsten, gelehrtesten, an Sprachen und Kunst reichen Männer ihnen geschenkt und sie von seinem Worte so viel wie nie zuvor hören lassen. Aber Gottes Wort und Gnade sind ein fahrender Platzregen, der nicht wiederkommt, wo er einmal gewesen, den auch die Deutschen nicht ewig haben werden, weil ihr Undank ihn nicht bleiben lässt. "Liebe Deutsche, kauft, weil der Markt vor der Türe ist, greift und haltet, wer greifen und halten kann; faule Hände müssen ein böses Jahr haben". Als höchste Mahnung endlich hält er Gottes Gebot vor, die Kinder zu lehren und zu erziehen; Sünde und Schande sei es, dass man dazu erst reizen müsse, da doch kein unvernünftig Tier sei, das seiner Kinder nicht warte. | |
83 In seiner Jugend habe er ein Sprichwort gehört, dass es nicht geringer sei, einen Schüler versäumen, denn eine Jungfrau schwächen; ja das ärgste sei es, die edeln Seelen der Kleinen zu verlassen und zu schänden. Deshalb sollen die Magistrate und Obrigkeiten dazu tun. Denn die Eltern sind oft nicht fromm und redlich genug, oft zu ungeschickt, oft verhindert durch Geschäfte und Haushalt; und jenen ist der Stadt ganzes Gedeihen anbefohlen. Der Stadt reichstes Gedeihen, Heil und Kraft aber sind nicht Schätze und Mauern oder Häuser, sondern feine, gelehrte, vernünftige, ehrbare Bürger; die könnten danach wohl Schätze sammeln, halten und recht gebrauchen. | |
84 Zu gute kommen sollte auch die allgemeine wissenschaftliche Ausbildung, die auf den Schulen erzielt wurde, zunächst dem Evangelium und der Kirche. Vor allem hierfür empfielt Luther das Studium der alten Sprachen: sie sind dei Scheide, darin das Messer des Geistes, nämlich das göttliche Wort, steckt, der Schrein, darin man dies Kleinod trägt, das Gefäss, darin man diesen Trank fasst. Weil die Sprachen jetzt wieder herfür gekommen sind, besitzt man das Evangelium wieder so lauter und rein fast wie die Apostel; man hat wieder die Sonne selbst, gegen welche die Auslegungen der alten Väter nur wie ein Schatten sind, man kann hell und frei eine jede Lehre prüfen. | |
85 Zwar kann ein Prediger auch ohne Kenntnis der Sprachen so viel klare Texte der Schrift durchs Dolmetschen haben, dass er Christum verkündigen mag; aber die Schrift auszulegen und gegen falsche Ausleger zu streiten vermag er nicht und mit seinem Predigen geht es doch faul und schwach; wo aber die Sprachen sind, da (547) geht es frisch und stark, die Schrift wird durchgetrieben und der Glaube findet sich immer neu. Es war wohl aich eine besondere Absicht Gottes, als er den Türken Griechenland gab, dass die verjagten, zerstreuten Griechen die griechische Sprache weiter ausbrächten und ein Anlass würden, auch andere Sprachen neu zu lernen. | |
86 Gleich sehr aber bedarf das weltliche Regiment der Schulen und Wissenschaften, damit nicht ein wild, unvernünftig Wesen daraus werde, und Gott will nicht bloss tüchtige Leute fürs geistliche Amt, sondern es ist ihm ebenso wohlgefällig, wo ein Fürst, Herr, Ratmann oder anderer Regent gelehrt und geschickt ist, diesen Stand christlich zu führen. Auch das Regiment im Haus gehört hierher, auch der Beruf der Frauen, dass sie wohl ziehen und halten können Haus, Kinder und Gesinde. | |
87 Überhaupt möchte Luther eine würdige Bildung und Zucht des Geistes, eine dankbare Pflege der von Gott verliehenen Geistesgaben unter sein Volk bringen. Sonderlich seine Deutschen fand er dessen bedüftig: "wir müssen aller Welt die deutschen Bestien heissen; wir sind allzulange deutsche Bestien gewesen, lasst uns einmal auch der Vernunft brauchen, dass Gott merke die Dankbarkeit seiner Güter und andere Lande sehen, dass wir auch Menschen und Leute sind, die etwas nützliches entweder von ihnen lernen oder sie lehren könnten, damit auch durch uns die Welt gebessert werde". Für diese ganze geistige Bildung sind ihm in erster Linie die Sprachen wichtig: es sollte, wenn sie auch keinen andern Nutzen hätten, doch schon das einen billig an ihnen erfreuen und für sie entzünden, dass sie eine so edle, feine Gabe Gottes sind; -- wo man sie fahren lässt, wird man nicht nur das Evangelium verlieren, sondern endlich dahin geraten, dass man weder Lateinisch noch Deutsch recht reden oder schreiben kann. | |
88 Er nennt ferner Geschichte, Mathematik, Musik und andere schöne Künste. Man solle die Kinder hören lassen die Geschichte und Sprüche aller Welt, wie es dieser Staddt, diesem Reich, diesem Mann, diesem Weibe gegangen sei, so könnten sie in kurzer Zeit der ganzen Welt Wesen, Leben, Rat und Anschläge, Gelingen und Misslingen vor sich fassen wie in einem Spiegel, daraus sie witzig und klug würden für dieses äusserliche Leben und in der Welt Lauf sich mit Gottesfurcht richten lernten; denn wollte man uns nur durch eigne Erfahrung weise machen, so wären wir hundertmal tot, ehe das geschähe. Die Griechen und Römer hält er als Beispiele vor, wie sie in solchen Dingen ihre Kinder erzogen und dadurch wundergeschickte Leute aus ihnen gemacht haben. Über sich selbst klagt er, dass er nicht mehr Poeten und Historien gelesen und niemand ihn dieselben gelehrt habe. | |
89 Der Gegenwart wünscht er Glück, dass durch jene feinen Männer der Unterricht weit besser, passender und für die Schüler leichter geworden sei, ja dass man jetzt in wenig Jahren einen Knaben weiter bringen könne als vordem in dem unendlich langen, leeren, lästigen und schädlichen Studium der hohen Schulen und Klöster. Nur wenigstens eine oder zwei Stunden täglich fordert er für den Schulbesuch der knaben, eine für den der Mädchen, wenn man daneben die Kinder für die Hausgeschäfte oder das Handwerk haben will -- damit streift er kurz die allgemeine Volksschule und die Mädchenschule --; wenn er aber fortfährt: welche aber der Ausbund darunter wären und hoffen liessen, dass sie zum Lehren oder Predigen geschickt würden, die solle man mehr und länger dabei lassen oder ganz dazu verordnen, -- so zeigt er deutlich, dass sein Interesse zur Zeit der Sicherstellung der Lateinschulen zugewendet ist. | |
90 Auch die Errichtung von Bibliotheken regt er an, wie man solche vordem in Stiften und Klöstern hergestellt haben, nur nicht mit dem Unrat, dessen diese voll gewesen seien, sondern mit wenigen guten Büchern, nämlich mit der heiligen Schrift (548) und ihren besten Auslegern in den verschiedenen Sprachen, mit alten Dichtern und Rednern, mit Büchern über alle Künste, und Historien aus allen Sprachen, daran es freilich gerade für die deutsche Nation zu ihrer Schande und ihrem Schaden fehle. |
91 Er bittet die "lieben Herren", an die er mit seiner Schrift sich gewendet hat: "Wollet diese meine Treude und Fleiss bei euch lassen Frucht schaffen; und ob etliche unter euch mich für zu gering hielten, als dass sie meines Rates sollten leben, oder mich als den von den Tyrannen Verdammten verachteten, die wollten doch das ansehen, dass ich nicht das Meine, sondern des ganzen deutschen Landes Glück und Heil gesucht; und ob ich schon ein Narr wäre und träfe doch was Gutes, sollte es ja keinem Weisen eine Schande sein, mir zu folgen; und ob ich schon ein Türke und Heide wäre, so man doch siehet, dass nicht mir daraus kann der Nutzen kommen, sondern den Christen, sollen sie doch billig meinen Dienst nicht verachten". | |
92 "Mit dieser Schrift wird sich Luther die Zuneigung vieler seiner Gegner wiedergewinnen", äusserte begeistert ein Zwickauer Schulmeister, nachdem er sie gelesen. (n92) Wirklich erhob sich mit dem evangelischen Kirchentum in verschiedenen hauptstädten desselben auch sofort ein neues, blühendes und für weite Kreise einflussreiches Schulwesen. So organisierten die Magdeburger schon 1524 das ihrige neu und beriefen an seine Spitze den jungen, tüchtigen Gelehrten Cruciger aus Wittenberg (vgl, unten S. 611). Noch wichtiger wurde das Gymnasium, welches die Stadt Nürnberg mit Melanchthons Beirat errichtete und für dessen Herstellung auch Luther besonders sich interessierte. | |
93 Als an seinem Geburtsort Eisleben sein Freund, Graf Albrecht von Mansfeld, im Frühjahr 1525 eine Schule neu gründete, reiste er selbst dorthin und trieb den sachverständigen Melanchthon, mit ihm zu gehen; sein Freund Agricola wurde Vorstand derselben. (n93) -- Wo immer nachher evangelische Kirchenordnungen aufgestellt worden sind, bilden fast überall die Schulordnungen einen wesentlichen Bestandteil derselben. -- | |
94 Mit den ersten Erfolgen der Reformation gegenüber dem bisherigen katholischen Kultus erhoben sich dann auch schon schwierige Fragen über die ferne, ökonomische Erhaltung der Kirche, namentlich über den Fortbezug der vielen Mittel, die ihr bisher eben vermöge jenes Kultus zugeflossen waren. | |
95 Dass das Einkommen der Pfarreien im allgemeinen den evangelischen Geistlichen verbleibe, galt für selbstverständlich und musste dafür gelten gemäss der ganzen Art, wie das Verhältnis der evangelisch gereinigten zu der bisherigen christlichen Kirche von den evangelisch Gesinnten und besonders auch von Luther aufgefasst wurde. Aber eine Menge von Stiftungen, aus denen Kirchen und Geistliche ihren Unterhalt empfingen, bezogen sich speziell auf Messgottesdienste, Privatmessen, Jahresfeiern und andere kirchliche Akte, welche jetzt erloschen und mit denen auch manche Priesterstellen und manche Kapellen überflüssig wurden und eingehen mussten. | |
96 Dazu kamen die Klöster, (549) die durch die fortgesetzten einzelnen und teilweise auf massenhaften Austritte der Mönche sich zu leeren begannen. Was sollte aus solchen Einkünften und Gütern werden? Die Altgläubigen protestierten gegen eine stiftungswidrige Verwendung derselben. Anderseits war grosse Gefahr, dass sie sogleich für die kirchlichen und religiösen Zwecke überhaupt verloren gehen möchten: Personen, die bisher etwas an die Kirche zu entrichten hatten, nahmen Gelegenheit, sich der Verpflichtung zu entziehen; gierige Hände von Hohen und Niederen waren bereit, von den Gütern, deren Rechtsverhältnisse unklar wurden, zu erhaschen, was sich nur erhaschen liess; es bestand keine geordnete Aufsicht und Fürsorge, die der Verschleuderung wehrte. | |
97 Luther hegte, wie wir schon im vorigen Abschnitte bemerkten, durchaus kein rechtliches Bedenken dagegen, dass auch Gelder und Güter, die für einen unchristlichen Gebrauch im Dienste Gottes bestimmt gewesen seien, jetzt dem rechten Dienst verbleiben dürften und müssten; nur wollte er verarmten Erben von Personen, welche Stiftungen in die Klöster gemachtn, einen Teil herauszahlen lassen, weil der Väter Absicht nicht die gewesen sei oder jedenfalls nach göttlichem Willen nicht die habe sein dürfen, dass sie den eignen Kindern das nötige Brot aus den Munde nähmen und anderswohin wendeten. | |
98 Demnach gab er Gutachten ab und erliess öffentliche Mahnung und Warnung: schon sah er "geizige Wänste", welche die Güter an sich reissen und vorwenden möchten, er habe Ursach dazu gegeben. Zu jenem rechten Gebrauch aber zählte er vor allem die Unterstützung Armer; denn kein Gottesdienst sei grösser als die christliche Liebe, die den Dürftigen diene; man solle "geben und leihen allen, die im Lande dürftig sind, es seien Edle oder Bürger". Ferner wollte er, dass man aus den Klöstern der Städte gute Schulen für Knaben und Mädchen mache. Dazu riet er, die sämtlichen Güter, welche man so für jene Zwecke gewinne, in einem "gemeinen Kasten" zu sammeln und so zu verwalten. Was also in dieser Hinsicht schon die Carlstadtsche Kirchenordnung (oben S. 483 = 4.3#119) für Wittenberg gefordert hatte, wollte auch er jetzt durchführen. | |
99 Nur machte er bereits im Jahre 1523 sich auf Erfolg geringe Hoffnung. Er sagt: "ich weiss wohl, dass meinen Rat wenige annehmen werden; so ist mir genug, wenn einer oder zwei mir folgeten, oder jedoch gern folgen wollten; es muss die Welt Welt bleiben und Satan der Welt Fürst; ich hab getan, was ich kann und schuldig bin". | |
100 Den ersten Versuch, sich nach Luthers Grundsätzen und namentlich auch mit Bezug auf jene ökonomischen Verhältnisse und Aufgaben eine förmliche Organisation zu geben, machte nun im Jahre 1523 die kursächsische Stadt Leisnig an der Freiberger mulde samt den ihr eingepfarrten Dörfern. (550). Besonders tätig war dafïur neben dem Magistrat der Adelige Sebastian von Kötteritz. Die erste Anregung gab ohne Zweifel jener Vorgang der Wittenberger im Januar 1522. Dann gab Luther, der am 25. September 1522 auch selbst nach Leisnig kam, Ermunterung und Rat dazu. Die ganze "eingepfarrte Versammlung" nahm, nachdem sie das dem benachbarten Cisterzienserkloster Buch verbriefte Besetzungsrecht beansprucht und ausgeübt hatte, zu Anfang des Jahres 1523 einen Entwurf an, den sie ihm durch Kötteritz und einen andern Gesandten vorlegte. | |
101 Luther hiess ihn gut und hoffte, er solle vielen Leuten zu gutem Exempel erscheinen. Die neue Ordnung wurde aufgestellt durch die "ehrbaren Mannen (d. h. die Adligen), den Rat, die Viertelmeister (aus der Zahl der Handwerker), die Ältesten (d. h. bürgerliche Älteste) und die gemeinen Einwohner der Stadt und Dörfer". | |
102 Sie erklären, sie wollen ihrer christlichen Freiheit, so viel die Bestellung ihres gemeinen Pfarramts betreffe, jederzeit nicht anders, denn nach Verordnung der heiligen Schrift gebrauchen. Jeder Hauswirt soll für sich, seine Kinder und sein Gesinde verpflichtet sein, auf treuliches Anhören und Einbilden des göttlichen Wortes zu geordneten Tagen und Stunden zu halten. Alle sollen und wollen ferner darauf halten, dass öffentliche Gotteslästerung, übermässiges Zutrinken, Unzucht und andere dem göttlichen Gebot stracks und wissentlich entgegenlaufenden Sünden und Laster verwehrt werden; so darin Unfleiss vermerkt würde, soll eine ganze eingepfarrte Versammlung Fur ugn Macht haben, sich hierum anzunehmen und durch gebührliche Mittel, Hilfe und Zutun der Obrigkeig solches zu würdiger Strafe und seliger Besserung zu bringen. | |
103 Weiter folgt eine ausführliche Ordnung für den gemeingen Kasten, in den fortan alle kirchliche Einnahmen fliessen sollen. Über ihn werden zehn Vorsteher gesetzt, nämlich zwei aus den Adeligen, zwei aus dem Stadtrat, drei aus der Bürgerschaft, drei us den Bauern. Dreimal jährlich soll die ganze "gemeinge eingepfarrte Versammlung" auf dem Rathaus zusammenkommen, sich vom Vorstand Rechenschaft abgeben lassen, über die vorliegende Bedürfnisse beratschlagen und neue Vorsteher wählen. aus dem Kasten werden bestritten die Ausgaben für die Prediger, Küster und Kirchengebäude, für Schulen und Schullehrer, für Hilfsbedürftige aller Art. | |
104 Eine Schule soll auch gehalten werden für die Mägdlein bis zu ihrem zwölften Jahre mit Unterricht im Lesen und Schreiben, und zwar unter einer Lehrerin, einer "betagten untadeligen Weibsperson". Schulgeld sollen nur die Kinder von auswärts zahlen. Endlich soll der gemeine Kasten auch Kornvorräte für Zeiten der Not aufnehmen. Für den Fall, dass die bisherigen Einnahmen nicht reichen, wird eine Steuer für alle Einwohner angesetzt. | |
105 So wollte dort die Gemeinde sich mit freiem Entschluss als ein Ganzes verfassen: "zur Ehre Gottes und Liebe des Christenmenschen und also gemeinem Nutzen zu gute". Immer jedoch geschieht dies in der Weise, dass dabei die kirchliche Gemeinde zugleich ungeteilt als bürgerliche auftritt: sie stellt sich dar in ihrer bürgerlichen Gliederung nach den verschiedenen Ständen, wählt hiernach ihre Kastenvorsteher, dehnt den Gebrauch der kirchlichen Gelder auf ihre äusseren Notstände aus, will auch ihre kirchliche Zucht mit (551) dem Einschreiten des weltlichen Armes verbinden. | |
106 Die Gemeinde wählte am 24. Februar die neuen Kastenvorsteher, begann auch bald darauf mit einer gründlichen Reform des Kultus. Aber die Durchführung stiess zunächst beim Rat der Stadt auf Schwierigkeiten, der in seiner Verwaltung befindliche Stiftungen an den "Kasten" nicht ausliefern wollte; der Kurfürst scheute sich vor gewaltsamen Eingreigen. Doch kam ein Vergleich unter den streitenden Teilen zustande. Nun aber fehlte es dem "Kasten" an den für seine Leistungen erforderlichen Einnahmen. | |
107 Luther reiste daher im August abermals nach Leisnig, geriet hier mit dem widerstrebenden Rat hart zusammen und rief die Entscheidung des Kurfürsten an. Dasselbe tat er nochmals von Wittenberg aus -- aber noch ein Jahr später hatte er Anlass über das Zaudern des Kurfürsten zu klagen; so sei das, was als erstes auch ein besonders gutes Beispiel hätte werden sollen, ein recht übles geworden. Sie würden ihren Prediger noch zwingen fortzuziehen, da er bei ihnen Hunger leiden müsse. Inzwischen hatte Luther aber (schon um Pfingsten 1523) die Leisniger Ordnung durch den Druck ausgehen lassen, "ob Gott seinen gnädigen Segen dazu geben wollte, dass sie ein gemein Exempel würde, dem auch viel andere Gemeinde nachfolgten". Er fügte ihr ein längeres Vorwort bei: eben in diesem gibt er die Hauptausführung seiner eignen, bereits vorhin von uns mitgeteilten Grundsätze und Ratschläge, deren Verwirklichung in Leisnig er anderen zum Vorbild machen wollte. (n107) | |
108 Mit weiteren Plänen und Raschlägen für eine neue, auf evangelischem Prinzip ruhende Verfassung der Gemeinden beschäftigte sich Luther nicht. Es war ja für ihn überhaupt vielmehr erst noch eine Zeit, wo man ins Volk hinein das Evangelium predigen und dann erst zusehen sollte, wer innerlich dadurch getroffen und so ein echtes, lebendiges und bekennendes Glied der Gemeinde Christi werde. Der bedeutungsvollste weitere Gedanke, welchen Luther damals aussprach, ist jener (oben S. 523f.= 5.2#55) von einer "Sonderung" dieser echten Glieder us der Masse der übrigen, noch unentschiedenen, gleichgültigen oder geradezu unchristlichen Genossen der äussern Kirche, -- von der Herstellung einer besonderen Abendmahlsgemeinde inmitten dieser Masse. | |
109 Aber die Ausführung lag von dem Gedanken noch weit ab, und Luther hat von ihr nie eine klare Vorstellung gegeben (doch vgl. unten Buch VI Kap. 5). Wie sollte jene Sonderung sich vollziehen und behaupten, wenn doch zugleich jene ganze masse in der Kirche festgehalten werden, zu kirchlichen Leistungen, nämlich mindestens zu den herkömmlichen kirchlichen Abgaben verpflichtet bleiben, auch von Staats wegen der bisherige katholische Gottesdienst für sie nicht mehr geduldet werden sollte? Jener Gedanke war tift begründet in Luthers Grundidee von der Kirche als Gemeincde der Gläubigen un dHeiligen, die nicht aus der unterschiedslosen Masse aufgebaut werden konnte. | |
110 Jeder auch noch so massvollen Durchführung dieser Idee aber musste vor allem wieder die Voraussetzung hemmend entgegentreten, dass dennoch fort und fort das ganze natürlich und bürgerlich verbundene, örtliche und staatliche Gemeinwesen mit der Kirche zusammenfallen und durch seine Gesetzgebung für alle seine Mitglieder den rechten Gottesdienst und das rechte Kirchenwesen aufrichten müsse. Es ist dieselbe Auffassung, über deren Konflikt mit Luthers Prinzip von der religiösen Freiheit wir oben geredet haben. | |
111 Vollends unterliess Luther noch alles Fragen und Raten darüber, wiie für die evangelischen Landeskirchen im grossen oder gar für eine deutsche Nationalkirche eine Verfassung nach evangelischen Grundsätzen sich gestalten sollte. Schwerlich wollte er auch nur bei sich selbst Überlegungen darüber anstellen, ehe von seiten des Reichs und seiner weltlichen und geistlichen Stände eine feste Entscheidung über ihre Stellung zum Evangelium gefällt wäre. Nur aus den Weisungen, die er, wie wir unten (in Kap. 8) sehen werden, den Böhmen gab, werden wir etwa schliessen können, wie er diie kirchliche Organisation einer von Rom sich lossagenden Nation mit möglichstem Anschluss an die bisher bestehende Ordnugn sich gedacht hat. | |
Videre til koestlin5.4! | |
Noter:
n10: WA 12, 205ff. G. Rietschel, Liturgik 1, 399ff. Roth 31.
n13: Luther selbst pflegte (nach Fröschel FS 1731, 691) seine Predigt in der Pfarrkirche nach dem Patrem, d. h. Glaubensbekenntnis, zu halten.
n20: 533,1 Luth. selbst pflegte (nach Fröschel FS 1731, 691) seine Predigt in der Pfarrkirche nach dem Patrem, d. h. Glaubensbekenntnis, zu halten.
n28: 534,3: Br 2, 391 (E 4, 213)
n31: 535,1: Br 2, 621. Fröschel a. a. O. 695.
n32: 535,2: Br 2, 563 (6,54). 620. 3,3ff (E 5, 52f. 198).
n37: 536,1: Cosack, P. Speratus' Leben u. Lieder 1861. Tschackert, Speratus 1891, 24f.; vor allem K. Budde in Zeitschr. f. prakt. Theol. 14,1ff. 16ff., der die Überlieferung, dass "Es ist das Heil uns kommen her" schon in Olmütz von Sp. gedichtet sei, widerlegt.
n39: 537,1: Vgl. Bachmann in ZkWL 1884, 294ff (gegen Achelis).
n48: 538,1: Die Vorrede des Erf. Enchir. ist nach Sprache u. Stil nicht von L., weshalb wir auch die Sammlung nicht auf ihn zurückführen dürfen. Der gebildete Periodenban der Vorrede, der dagegen L.s volkstümlicher Ton fehlt, und ihre Ausfälle auf die Chorgesänge der Tempelknechte, bei welchen man an die Wittenberger Stiftsherren (oben S. 525ff.) denken muss, lassen Abfassung durch Jonas vermuten. -- Wackernagel, Bibliographie zur Gesch. d. deutschen Kirchenlieds 1855; ders. L.s geistliche Lieder 1848; Friedr. Zelle, Die Singweisen der ältesten evang. Lieder I. Berlin 1899. Br 2, 590 (E 4, 273). Heumann, Documenta litteraria 235. O. Clemen, Beitr. z. Ref. -Gesch. 1, 82. Br 2, 538 (E 4, 362). Das Erfurter Enchiridion in Faksimiledruck. Erfurt 1848.
n49: 539,1: Ausgaben von Wackernagel, Schneider u. Danneil; Wackern., D. deutsche Kirchenlied v. d. ältesten Zeit u 3, 3ff. EA 56, 289ff. Schleusner, Luth. als Dichter. Wittenb. 1883. Achelis, D. Entstehungszeit von L.s geistl. Liedern. Marburg 1884. Bachmann in ZkWL 1884, 161 ff. 294 ff.
n54: 540,1: Allg. ev.-luth. Kirchenzeitung 1894, 104ff.
n63: 542,1: Zu den Melodien: Winterfeld, Der ev. Kirchengesang 1, 143ff. Joh. Zahn, Die Melodien des deutsch-evang. Kirchenliedes aus den Quellen geschöpft. 6 Bde. 1889ff. Friedr. Zelle, D. Singweisen d. ältesten evang. Lieder. 2 Progr. Berlin 1899 u. 1900; ders., Gesch. d Chorals "Komm, heiliger Geist". Berlin 1898.
n 64: 542,2: Spal. Nachl. 1851, 1, 70f.
n66: 543.1: Br 2, 635f (E 5, 144f) -- Nürnbergisch-Breslauische Vermahnungsformel: Niederer, Abhandl. v. Einführung d. deutschen Gesangs. Nürnberg 1759, 199ff. Breslauer Gesangbüchylein v. 1525 (Zeitschr. d. schles. Geschichtsvereins 6, 208f.). Rietschel, Liturgik 1, 407, 431.
n68: 543,2: Br 2, 563 (E 5, 52). J. Smend, D. evang. deutschen Messen bis zu L.s deutscher Messe. Göttingen 1896. W. Walter in Theol. Lit-Bl. 1896, 553ff. v. Schubert in MGkK 1, 276ff. Rietschel, Liturgik 1, 402ff. Spal. Menck. 634f.
n71: 544,1: WA 12, 38ff. (EA 22,157ff). Sehling, K.-Ordn. 1, 18ff. Kawerau in ZkWL 10, 407ff (5 Aufsätze). -- Sintflutgebet: Kawerau a. a. O. 591ff.; Hering in StKr 1892, 282ff.; Achelis, Prakt. Theol. I,2 444f. -- Die Verbreitung von L.s Taufbüchlein bezeugt auch die Tatsache, dass es sich handschriftlich in einem dem Breslauer Dom gehörigen Rituale vorfindet. -- Die Schrift "Wie man recht und verständlich einen Menschen zum Christenglauben taufen soll" WA 12,49ff. (EA 22, 166ff) ist L. untergeschoben, vgl. Kawerau ZkWL 10 625ff.; es war daher unnötig, das Sehling 1, 17 sie wieder unter L.s Ordnungen aufnahm. In eine Gesamtausgabe der Werke L.s gehören dagegen auch Schriften, die sich mit seinem Namen schmücken, obgleich sie nicht von ihm stammen. -- Münzer: Kaweran a. a. O. 584f.
n72: 544,2: Über die Handhabung dieser Ordnung s. Brief v. 28. Febr. 1524. Mel. paed. 125.
n74: 545,1: Br 2, 621. 635 (E 5 115, 144.) Kawerau, Agric. 31. 44. StKr 1879, 47f. Cohrs, Evang. Katechismusversuche 1, 169ff.
n79: 546,1: Fröschel a. a. O. Br 2, 504f. 595 (E 4, 328). Cohrs a. a. O. 2, 189.
n80: 546,2: WA 15 9ff (mit vortrefflicher Einleitung von O. Albrecht; ders. in StKr 1897, 687ff.) EA 22, 168ff. CR 1, 666. Mel. paed. 125, 134.
n93 548,2: Br 2, 646 (E 5, 157). CR 1, 739. Spal Menck. 645. Kawerau, Agric. 49. 57ff. Zeitschr. d. Harzvereins 12, 213ff. Hartfelder, Ph. Mel. als Praeceptor Germaniae. Berlin 1889, 496ff. 501ff.
n107: 551,1: Bk 53f (L. in Leisnig schon 1522: Br 2, 252. E 4, 8). WA 12, 1ff. (EA 22, 106ff). E 4, 70ff. Richter Kirchenordn. 1, 35ff.; Sehling, Kirchenordn. 1, 596ff. Br 2, 379ff. 567f. (E 5, 72f). Kawerau in N. Archiv f. sächs. Gesch. 3, 78ff. Hering in StKr 1884, 247ff.