Indhold: Gottesdienstliche Änderungen an der Pfarrkirche in Wittenberg. 511.#1. -- Schreiben an die Erfurter Christen 513. #12. -- Kampf gegen die Papisten 515. #23. -- Wider den falsch genannten geistlichen Stand 517. #29. -- Recht und Macht einer christlichen Gemeinde 518. #33. -- Tätigkeit ausserhalb Wittenbergs 518. #36. -- Weitere Reformen in Wittenberg 522. #52. -- Kampf mit den Wittenberger Stiftsherren 525. #64. -- Bugenhagens Wahl zum Pfarrer. 528. #78.
Tilbage til oversigten!
1 Mit diesen Sermonen war Luther wieder in sein ordentliches Amt bei der Wittenberger Pfarrkirche eingetreten, das ihm seit mehreren Jahren (oben S. 115) wegen der Dienstunfähigkeit des Pfarres Simon Heinz (Brück) übertragen worden war. (n1) | |
2 So sollte denn jetzt vor allem bei dieser Kirche die von ihm vorgetragenen Grundsätze eingehalten werden. Beim Gottesdienst erschien wieder die alten Gewänder, ertönten wieder die lateinischen Gesänge, wurde das Sakrament den Abendmahlsgästen wieder in den Mund gereicht, auch die geweihte Hostie im Akte der sogenannten Elevation der Gemeinde vor Augen gehalten, die darin nun nicht mehr ein Opfer, sondern nur eine Darstellung des teuren Testaments Christi erblicken sollte. Die Gesänge bei der Feier des Sakramentes, welche sonst von einem Chor der Knabenschule in Gemeinschaft mit dem Geistlichen ausgeführt worden waren, wurden wiederhergestallt, obgleich man wegen der Auflösung der Schule keine Knaben mehr dazu hatte: die Diakonen und der Küster mussten dafür eintreten. | |
3 Insoweit konnte man in der Wittenberger Kirche keine Abweichung von den katholischen Formen wahrnehmen. Der Laienkelch bestand fort, inden es allen, die kraft eigner Überzeugung zu ihm sich einfänden, gereicht werden, die anderen jedoch bloss das Brot des Abendmahles geniessen sollten. | |
4 Allein beibehalten wurde von den Neuerungen gleich die, welche in dogmatischer Hinsicht die wichtigste war, nur so, dass sie vor der Menge kein Aufsehen machte: nämlich die Beseitigung derjenigen Worte bei der Messe oder im sogenannten Messkanon, laut deren hier der Priester den Leib Christi opfern sollte. Ohne Zweicel wurde (ohe dass wir eine ausdrückliche Nachricht darüber besässen) mit Bezug hierauf in der Pfarrkirche nach einer Weisu9ng verfahren, die Luther damals allgemein gab. Er erklärte nämlich: alle aufs Opfer lautenden Worte müssen und solle ab sein, es ärgere sich daran, wer wolle. | |
5 Das könne, meinte, er, ohne Ärgernis geschehen, indem der gemeine Mann nichts davon erfahre; denn die betreffende Worte wurden noch immer lateinisch gesprochen und zwar in der katholischen Messe nur leise. Den "verstockten" Priestern, die jene Worte fortzulassen sich weigern würden, wollte er dies immer noch auf ihre eigne Verantwortung hin anheimgeben; die Diakonen seiner Kirche waren mit dem Weglassen einverstanden. (n5) -- | |
6 So wenig vermochte er doch schon hier (512) beim gemeinsamen Gottesdienst eine vollkommene Rücksicht auf die Gewissen aller, auch der noch altgesinnten Gemeindeglieder einzuhalten. -- Auch die Privatmessen unterblieben für immer in der Wittenberger Stadtkirche. Keiner der Geistlichen wollte solche ferner halten, und aus der Gemeinde erhob sich deshalb keine Beschwerde. Es wurden überhaupt nur noch an Sonn- und Festtagen Gottesdienste gehalten, bis im folgenden Jahre, nach Bugenhagens Ernennung, auch für die Wochentage regelmäsisge Predigtgottesdienste veranstaltet werden konnten; im Jahre 1522 fanden Wochengottesdienste nur während der Fastenzeit statt: da predigte Luther täglich über die Katichismusstücke oder, wie schon bemerkt, zunächst über die zehn Gebote. | |
7 Er nahm überhaupt die Predigtarbeit zunächst allein auf seine Schultern. Er predigte an den Sonntagen zunächst früh seinen Brüdern in der Klosterkirke, worauf der Prioor mit ihnen das Abendmahl feierte. Dann hielt er in der Stadtkirche die Hauptpredigt und wieder um 12 Uhr die Nachmittagspredigt. -- Anderwärts riet Luther den Geistlichen, welche Messe halten müssten, auch ohne das ein Verlangen nach dem Sakramentsgenuss in der Gemeinde wäre, es der irrigen Gewissen wegen noch zu tun, jedoch mit der Zeit so viel als mögliche solche Messen eingehen zu lassen. Denen, welche noch fernerhin Privatmessen als Opfer halten wollten, wollte er dies ebenso wie den Gebrauch des bisherigen Kanons bei der öffentlichen Messe noch auf ihre eigne Verantwortung hin gestattet haben, so sehr es verwerflich sei. | |
8 Das Abendmahl erhielten die Gemeindeglieder, die es unter beiden Gestalten geniessen wollten, jetzt zunächst an einem besonderen Altar und zu besonderer Zeit. Der weitaus überwiegende Teil der Gemeinde scheint indessen von der für die "Schwachen" wiederhergestellten Austeilung unter einer Gestalt keinen Gebrauch gemacht zu haben. -- Luther mahnte dringend, das keiner das Sakrament nehme, der nicht danach hungere und sich würdig vorbereitet habe. Er warnte ebenso vor dem leichtfertigen Herzulaufen, wie vor dem Zwang, mit dem der Papst jährlich an Ostern alle dazu treiben wolle. Eine regelmässige Beichte wurde jedoch erst durch den Pfarrer Bugenhagen 1523 wieder hergestellt. | |
9 So stand es bei der Pfarrkirche. Dagegen hielten in der Schlosskirche die altgläubigen Stiftsherren ihren ganzen Messkultus samt den Privatmessen fest. | |
10 Der deutschen Christenheit im grossen trug Luther die Grundsätze, die er in jenen acht Sermonen gepredigt hatte, in der S. 503 (=5,1#12) bereits genannten Schrift vor, in der wir seine Bearbeitung jener Sermone für die Öffentlichkeit zu sehen haben: "Von beider Gestalt das Sakrament zu nehmen und anderer Neuerun". Den Wittenbergern predigte er über (513) den rechten Gebrauch des Abendmahls namentlich wieder am folgenden Gründonnerstag: er erklärte sich dabei besonders auch wieder gegen eine falsche Schätzung des äusseren Sakraments überhaupt, während doch das Wort Gottes das grösste Heiligtum und auch beim Sakrament das wichtigste sei. -- | |
11 Auch der junge Herzog Johann Friedrich erbat sich von ihm gleich nach seiner Rückkehr eine Belehrung über die vorliegenden Fragen. Luther beeilte sich ferner, eine solche speziell nach Zwickau an Nikolaus Hausmann zu schicken: dieser, ein ihm ganz ergebener Mann, war, wie wir schon oben (S. 487) erwähnten, von dem Magistrate der durchwühlten Gemeinge zu Pfingsten 1521 ins Pfarramt daselbt eingesetzt worden. (n11) | |
12 Zu den Orten, wo die Aufregung influge der reformatorische Bewegung am grössten war, gehörte vor allem Erfurt. Wir erwähnten die dortigen Tumulte gegen die Pfaffen im Jahre 1521 und das Missfallen, welches Luther daran bezeugte (S. 463 = 4,3#4). Seither wurde von den zum Evangelium sich bekennenden, teilweise aus dem Mönchtum übergetretenen Predigern auf der Kanzel und in Druckschriften leidenschaftlich gegen das päpstliche Antichristentum, den verderbten Klerus, das Mönchwesen u. s. w. weiter gekämpft, während jetzt au9ch die Gegner mit gleichen Waffen sich wehrten; unter diesen hielt namentlich Usingen stand, der einzige unter den Erfurter Augustinermönchen, der dem alten Kirchentum und Orden treu blieb. | |
13 Luthers Freund Lang verliess im März 1522 das Kloster, als dessen Prioe er einst von Luther eingesetzt worden war. Der Magistrat war den neuen Predigern günstig, die Mahrzahl der Bevölkerung fiel ihnen zu. -- Weiter schien jetzt dort bereits auch ein ähnlicher Drang nach praktischen Reformen, wie unter Carlstadt in Wittenberg, und ein ähnlicher Sturm gegen die Bilder sich erheben zu wollen. Dort wurde ferner mit besonderer Heftigkeit die Frage über den Heiligenkultus verhandelt, die auch in Wittenberg und anderwärts bereits angeregt war, obgleich Luther in jenen Wittenberger Sermonen sich eines Eingehens auf die noch enthalten hatte. Über diese Erfurter Verhältnisse stand Luther seit Ende des März mit Lang im Briefwechsel. Er ermahnte, sich durch den Widerstand der Feinde des Evangeliums nicht befremden zu lassen. | |
14 Usingen gegenüber schwand jetzt die Pietät, die er seinem alten Lehrer noch längere Zeit trotz inntere Entzweiung bewahrt hatte. Er bemerkte gegen lang: jener sei von jeher ein eingebildeter, hartnäckiger Kopf gewesen, der keinem nachgeben wolle und jetzt, durch Gewohnheit und Kunst abgehärtet, auch dem Herrn Christus nicht weichen werde; Alter helfe vor Torheit nicht; durch sein Auftreten auf dem Kampfplatz möge er sich selbst um seine "Mücke von Autorität" bringen; "Unsingen", wie er ihn nennt, möge Unsinn treiben, damit die Torheit dieser Menschen offenbar werde. Aber wichtiger war jetzt auch hier (514) für Luther die Warnung nach der andern Seite hin. Es war ihm sogar fragllich, ob Lang recht getan habe, seine Freihet vom Mönchtum zu gebrauchen, ob er nicht vielmehr sich hätte hüten sollen, den Widersachern hiermit einen Anlass zum Lästern zu geben. | |
15 Er äusserte, Lang und die Erfurter möchten mit ihrer Erkenntnis des Wortes wohl ihm selbst schon über den Kopf gewachsen sein; er vermisste die Liebe, das echte Wahrzeichen der Christen, ja brach in die allgemeinte Klage aus: "die Kraft des Wortes ist noch verborgen oder allzu mässig bei uns allen, wir sind noch die gleichen, wie zuvor, hart, unsinnig, ungeduldig, leichtfertig, trunken, lose, streitsüchtig". Einen Besuch in Erfurt, den Lang gewünscht hatte, wollte er nicht zusagen, weil er, der als Geächteter überall dem Tod ausgesetzt sei, Gott nicht versuchen und willkürlich in die Gefahren gehen dürfe. Dagegen versprach er ein besonderes Schreiben für die Erfurter abzufassen. Inzwischen verwies er auch Lang auf seine neue Schrift über das Nehmen des Sakraments. | |
16 Unter dem 10. Juli erschien dann sein öffentliches Sendschreiben, dass er, "Martinug Luther, Ecclesiastes (d. h. von Gott beerufener Prediger) zu Wittenberg", an "alle Christen zu Erfurt samt den Predigern und Dienern" richtete. | |
17 Zum Hauptgegenstand machte er jene Frage über die Heiligen; die Art, wie er sich darüber aussprach, ist wieder recht bezeichnend für die Eigentümlichkeit seines reformatorischen Wirkens, wie für das Besondere seiner persönlichen Entwicklung, womit jene zusammenhing. Vor einer Verehrung der Heiligen, bei der man auf diese statt auf Gott und Christus sein Vertrauen setze, hatte er schon längst gewarnt. In seiner eben jetzt veröffentlichten Kirchenpostille sprach er die Besorgnis aus, dass hierdurch greuliche Abgötterei einreisse, und fand die Anrufung der Heiligen schon deshalb "verdächtig", weil sie keine Spruch noch Exempel der heiligen Schrift für sich habe. | |
18 Jetzt gab er den Erfurtern den Bescheid: wer keinen Heiligen anrufe, sondern nur fest an dem einigen Mittler Christus halte, der tue keine Sünde, ja fahre vielmehr sicher und sei gewiss. Das Entscheidende für ihn war jedoch nicht eine dogmatische Kritik der Lehre vom Wesen und Tun der Heiligen. Denn so sehr für ihn feststand, dass die abgeschiedenen "Heiligen" nimmermehr nehen den einen Mittler Christus, sondern nur in eine linie mit allen echten Gläubigen und Gliedern Christi angestellt werden dürften, blieb für ihn doch noch der Gedanke offen, dass sie ebenso wie die auf Erden lebenden für ihre Brüder fürbitten werden und von andern um solche Fürbige angegangen werden dürften; über die Frage, ob sie denn in der Lage wären, die da und dort Betenden zu hören, wollte er nicht grübeln. | |
19 Entscheidend blieben vielmehr für ihn die beiden schon zuvor ausgehobenen Momente: der Mangel einer in Gottes Wort gegebenen Gewähr für ein solches Anrufen und ganz besonders die innere Herzensstellung eines wahren Christen zu seinem Gott und Erlöser. Arge Abgötterei ist es, wenn man das Gott allein gebührende Vertrauen den Heiligen zuwendet; daher werden Christen, welche die wahre Zuversicht zu ihrem Gott und Heiland haben, sich zu einem Anrufen der Heiligen gar nicht mehr veranlasst fühlen; es muss dahon kommen, dass sie die Heiligen und sich selbst (515) lassen und von nichts mehr denn von Christo wissen, -- das für sie Moses und Elias verschwinden und Christus allein auf dem Berge Tabor bleibt. | |
20 So werde für sie jener Kultus ganz von selbst zusammenfallen. Eben dies war die Art, wie Luther selber davon losgekommen war, während bei anderen Persönlichkeiten ja auch andere Motive des religiösen Bewusstseins und der Intelligenz stärker bei dieser Frage eingreifen mögen. Ja Luther sagt von sich zu Lang: er wisse gar nicht, wie und wann er aufgebört habe, die Heiligen anzurufen, mit Christus und Gott dem Vater allein sich begnügend. Demgemässe unterwies er jetzt die Erfurter. Während er ihnen erklärt, das de sicher gehe, der jene Anrufung aufgebe, ja dass auf dem bezeichneten Wege alle dahin gelangen müssten, will er doch, dass die Prediger aller unnötigen Fragen über die Heiligen sich entschlagen, dass man es vielmehr für genug achte, wenn die Leute nicht mehr ihr Vertrauen auf sie setzen; und dass man die Schwachen, wofern sie nur dies nicht tun, auch wegen ihres noch fortgesetzten Anrufens nicht verachte. | |
21 "Also, mein Bruder, treibt auf Christum allein und straft den Aberglauben und lasset das Unnötige unnötig bleiben und verschonet der Schwachen; es wird der Satan hinfort noch viel dergleichen unnögite Sachen und Fragen aufbringen, auf dass er einige, nötige, einfältige Erkenntnis Christi verderbe, und es werden ihm folgen die leichtfertigen, unvorsichtigen Geister und viel Jammer anrichten, wie schon an allen Orten leider der Jammer angehet". | |
22 Ähnlich riet er in einer Predigt, die er eben damals in Wittenberg hielt und drucken liess, dass man sich "allein auf Christum gebe", wenn's gleich keine Sünde sei, zu Petrus wie zu einem lebenden Mitbruder zu sagen "Bitt' für mich". Da komme aber leicht immer eine Frage aus der andern, ob die Heiligen uns hören, ob sie schlafen u. s. w.; für uns genüge es, zu wissen, dass sie in Christo seien und Christus in ihnen. -- Von da an übrigens mahnte er dann vollends immer entschiedener von jeder Anbetung der Heiligen als etwas Ungewissem und Gefährlichem ab, während man vielmehr nur die Taten der göttlichen Gnade und die Exempel christlichen Sinnes und Wandels bei ihnen zu betrachten und zu ehren habe. (n22) | |
23 Während Luther so den Eifer für äussere Neuerungen durchweg zu mässigen und in die seinen Grundsätzen entsprechenden Bahnen zu leiten versuchte, wa währen er hier in seinem Ruff zur Mässigung selbst wieder scharf, heftig und bitter gegen die falschen Eiferer werde konnte, hielt er zugleich in dem Kampf, den er mit der Waffe des Wortes gegen die Papisten fürte, keinen Augenblick inne, noch legte er in dem Tone, den er dabei führte, sich mehr Zügel als bisher an. Er unterliess auch in den Predigten und Schriften, welche er gegen die andere Seite hin richtete, nir die stärksten Erklärungen nach dieser hin. Gleich nach seiner Rückkehr von der Wartburg (wenn nicht schon unmittelbar vor seinem Aufbruch von dort) richtete er ein Sendschreiben an Hartmuth von Kronberg, einen fränkischen Ritter, Freund und Verwandten Sickingens, der in mehrere kleinen Schriften für die Reformation eingetreten war. | |
24 Es ist voll frischen freudigen Zuspruchs für die Bekenner des Evangeliums, (516) kennzeichnet die Stellung des Reformators den falschen reformatorischen Freunden gegenüber mit den oben, S. 507 (5,1#38), mitgeteilten Worten und wendet sich mit besonderer Kraft gegen die verblendeten papistischen Widersacher: siegesgewiss, mitleidig und strafend lässt er sich aus über sie und über die grosse "Sünde zu Worms", wo die göttliche Wahrheit von deer deutschen Nation verschmäht und verdammt worden sei (von einem beiläufigen Ausfall auf Georg werden wir unten reden); sich selbst warf Luther hier vor, dass er, der für hochmütig im Reden gescholten worden sei, nicht steifsinnig genug geblieben, in Worms vielmehr guten Freuden zu lieb seinen Geist zu sehr gedämpft habe. (n24) | |
25 Neuen Antrieb zu einer öffentlichen Kundgebung erhielt Luther durch die Bischöfe, welche jetzt auch durchs Reichsregiment ausdrücklich zum Einschreiten gegen seine Lhren und Anhänger aufgefordert waren. Zur selben Zeit, da er in Wittenberg wieder zu wirken begann, veranstalteten die Bischöfe von Meissen und Merseburg die anempfohlenen Visitationen (oben S. 490 = 4,3#154) in ihren Bezirken, wobei der Meissener, begleitet und unterstützt von Luthers altem Gegner Dungershein von Ochsenfart, in verschiedenen kursächslichen Städten auch selber predigte. Kurfürst Friedrich, den sie um Schutz und Beihilfe ersuchten, vermochte sie nicht abzuweisen; er forderte auch die Ortsobrigkeiten auf, die Anordnungen zuzulassen, die sie zur Ehre Gottes und zum Besten christlicher Liebe treffen würden; nur lehnte er den Arm weltlicher Gewalt ab, den sie besonders gegen die austretenden Mönche und deren Predigen in Anspruch nahmen: denn er verstehe von diesen Dingen zu wenig und könne jetzt nicht mehr so viel Theologie lernen. (n25) | |
26 Luther vermahnte dagegen zu treuem Bekenntnis. So fügte er seiner Schrift über das Nehmen des Sakraments eine Warnung bei, dass man nicht den Gefahren sich zu entziehen such durch das Vorgeben, es "nicht mit dem luther, noch mit sonst jemand, sondern mit dem heiligen Evangelio oder mit der heiligen Kirch oder römischen Kirche zu halten", während man im Stillen doch seine Lehre für evangelisch erkenne; auch das, sagt er, heisse Christum verleugnen. Ob man ihn selbst zu einem Buben oder Heiligen mache, daran sei ihm nichts gelegen; Christum aber müsse man frei bekennen, ob luther oder ein anderer ihn gepredigt habe: -- Zugleich liess er ein Schriftschen ausgehen "Von Menschenlehre zu meiden". | |
27 Den Satzungen des Fastens, der Ehelosigkeit u. s. w. stellte er hier eine Reihe von Bibelsprüche entgegen, fügte auch einer zweiten Ausgabe eine "Antwort auf Sprüche" bei, "so man führet, Menschenlehre zu stärken". Er wollte hiermit "den armen, gefangenen, demütigen Gewissen die christliche Freiheit predigen", nicht "den frechen unzüchtigen Köpfen dienen, die ihr christlich Wesen allein damit aufwerfen, dass sie Fleisch essen, Bild stürmen" u. s. w. (n27) | |
28 Und als der Bischof von Merseburg zwei Geistliche in dem zu Kursachsen gehörigen Teil seiner Diöcese wegen Änderungen in den Kultusordnungen und Fastengeboten, sowie wegen Eintritts in die Ehe zur Ver- (517) antwortung zog, da halt ihnen Luther durch den Entwurf einer Verantwortung, die sie dem Schösser zu Colditz als dem kurfürstlichen Beamten, der wider sie einschreiten sollte, überreichen, und durch einen "Rat", wie sie im Verhör antworten sollten. (n28) | |
29 Gegen den ganzen Stand der Bischöfe, gegen ihr Treiben und Leben erging er sich noch bitterer und rücksichtsloser, als je zuvor, in seiner Schrift: "Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papstes und der Bischöfe". | |
30 Er schildert sie als das direkte Gegenteil der Hirten, deren Bild Paulus aufstelle, als Abbild vielmehr der falschen Propheten, welche Petrus 2 Petr. 2,1ff. schildere, als Nachfolger Bileams, wie Petrus sage, als abgöttische, unsittliche, schandbare, vermaledeite Verführer und Wölfe. Weil sie ihn im ihres Abgotts willen wegen seiner edeln Sache verlästern, verdammen und verbrennen und weder hören noch Antwort geben, will er auch seine Hörner aufsetzen und für seinen Herrn seinen Kopf wagen. Ihnen zum Trotz, die ihn einen Ketzer schelten, nennt er sich einen Ecclesiastes von Gottes Gnaden; ja er sagt: "ob ich mich einen Evangelisten von Gottes Gnaden nennete, trauete ich dasselbe eher zu beweisen, denn euer einer seinen bischöflichen Namen beweisen könnte, bin des gewiss, dass mich Christus selbst also nenneet, der auch Zeuge sein wird am jüngsten Tag, dass meine Lehre nicht mein, sondern sein lauter Evangelium ist". |
31 Gegen die Befürchtung, dass ein Aufruhr gegen die geistliche Obrigkeit entstehe, wenn man, wie er tue, die "geistliche Höhe strafe", antwortet er: "es wäre besser, dass alle Bischöfe ermordet, alle Stifte und Klöster ausgewurzelt würden, denn dass eine Seele verderbe; wozu sind sie nütze, denn dass sie in Wollust leben von der andern Schweiss und Arbeit?" Den Aufruhr jedoch mache nicht Gottes Wort, sondern der verstockte Ungehorsam, der sich dagegen auflehne; jenes löse sänftiglich die Seelen von ihren Banden, dass die Tyrannen verachtet werden, und was verachtet werde, bedürfe nicht viel Stürmens; das Larvenvolk bedürfe keines andern Verstörens, denn dass man sie aufdecke und erkenne. Er proklamiert auch eine "Bulle und Reformation", wonach alle, welche Leib und Gut dransetzen, dass die Bistümer also verstöret werden, Gottes Kinder sein sollen, alle aber, welche willig auf der Bischöfe Regiment halten, des Teufels eigne Diener. | |
32 Bischöfe in Wahrheit sollen nur diejenigen noch heissen, welche des Volkes warten mit Predigen und Sakrament als der Pfarrherr und die Kapellane jeder Gemeinde; solche habe Paulus eingesetzt für jede Stadt und habe sie Älteste und episcopi oder Bischöfe, das heisse Wächter oder Hüter, genannt. So nun von den jetzigen Bischöfen, die davon nichts üben noch wissen, doch einer oder der andere die Sprüche der Schrift bei sich wirken liesse und über seine Seligkeit in seinem Standen besorgt würde, so solle er, wenn er nicht selbst zum Predigen geschickt sei, wenigstens andere gelehrte Männer schaffen, die an seiner Statt in seinem Bistum hin und her das Evangelium rein verkündigen, und solle selber das, was er mit Predigen nicht ausrichte, mit Beten und Dienst und Hilfe an den Armen ersetzen. (Siehe auch unten S. 553.) (n32) | |
33 Für die Christen insgemein aber behauptete er das Recht, das göttliche Wort, das jene Bischöfe versäumten und verwehrten, frei zu predigen und sich ohne Rücksicht auf bischöfliche Weihe ein eignes echt christliches (518) Predigtamt zu bestellen: so namentlich in seiner kleinen Schrift, "dass eine christliche Versammlund oder Gemeine Recht und macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen u. s. w", welche 1523 (nach Ostern) erschien, (mgh-ret) und (im Oktober) in einer lateinischen Schrift "von Einsetzung der Diener der Kirche", die er, wie wir sehen werden, für die Böhmen abfasste. | |
34 Zu Grunde legt er der Christen allgemeines Priestertum. Daran hält er auch jetzt, da er bereits den Missbrauch und die Auswüchse bekämpfen musste, so gut fest wie in seinen Büchern an den deutschen Adel, von der Freiheit eines Christenmenschen u. s. w. Dazu gehört ihm das Verkündigen des Wortes, dazu das selbständige Urteil über die Lehre gemäss der Schrift; von denen, welche das öffentliche Predigtamt bekleiden, sagt er wie dort, dass sie predigen anstatt und auf Befehl der andern. So sollen nun die Gemeinden selbst zusehen, dass keiner sie mit Menschenlehren verführe, und kein Prediger soll über sie gesetzt werden ohne ihr Wollen und Erwählen, ausser wo die Not dazu zwänge, damit die Seelen nicht aus Mangel göttlichen Wortes verdürben. | |
35 Wo kein Bischof ist, der für evangelische Prediger sorgt, soll die Berufung von der Gemeinde ausgehen, ob nun der Bischof den von ihr Berufenen bestätigen möge oder nicht. Während ferner Luther jetzt wie früher für die öffentlichen Prediger in christlichen Gemeinden eine solche ordentliche Berufung zur Bedingung macht, erklärt er jetzt, dass an Orten, wo noch keine Christen seien, ein Christ auch ohne solchen Ruf vermöge seines einfachen Christenberufs seine Mitmenschen das Evangelium lehren solle, und dass auch mitten unter Christen ein einzelner, wenn er den ordentlichen Lehrer irren sehe, ohne eine Berufung durch Menschen auftreten und lehren möge, sofern es nur sittig und züchtig dabei zugehe; er bezog hierauf die Weisung, welche der Apostel fürs Reden im Gemeindegottesdienst 1 Kor. 14,30 gab: "so eine Offenbarung geschieht einem Andern, so schweige der Erste". (n35) | |
36 In der behütenden Fürsorge und anregende Tätigkeit, welche Luther zugleich gegen die alten Feinde und gegen die neuen Gefahren auszuüben bedacht war, beschränkte er sich auch mit seiner persönlichen Gegenwart und seinem mündlichen Worte bald nicht mehr auf Wittenberg. Er tat es den herumreisenden Bischöfe gleich. Solche Befürchtungen, wie er sie Lang mit Bezug auf eine Reise nach Erfurt aussprach (S. 514 = #15), hielten ihn nicht lange zurück. Sobald die arbeitsreiche Fastenzeit und Ostern vorbei war, mache er sich auf den Weg nach Borna, wo er am 27. April zwei, nach Altenburg, wo er gleichfalls zwei, nach Zwickau, wo er vier Predigten hielt, dann zurück nach Borna, wo er am 3. und 4. mai nochmals predigte, und weiter nach Eilenburg, wo er am 5. Mai sich befand. | |
37 An demselben Tage predigte er auch noch in Torgau; die umliegenden Ortschaften Dommitsch, Belgern und Schilda waren von dieser Predigt amtlich benachrichtigt worden. Sein Weg führte ihm auch durch herzoglich sächsisches Gebiet, wo vom Herzog Georg das Schlimmste für ihn zu erwarten war; er durchreiste es kühn, doch nicht ohne Vorsicht: so ritt er von Zwickau nach Borna des (519) Nachts in weltlicher Kleidung, indem er sein geistliches Gewand sich nachführen liess. (n37) | |
38 Nach Altenburg war er vom dortigen Magistrat eingeladen. Dieser hatte ihn gebeten, der Stadt einen evangelischen Prediger zu schicken und selber dort zu predigen, damit der gemeinen Leuten der Argwohn gegen seine Lehre als Ketzerei genommen werde. Er empfahl ihnen vertrauensvoll jenen Gabriel Zwilling. Der Propst aber, die Pastoren und die regulierten Chorherren daselbst, welche die Pfarrstellen besetzten, verweigerten dem Evangelium den Eingang. Bei seiner Anwesenheit setzte dann Luther dem Magistrat eine Beschwerde für die kurfürstliche Regierung auf. | |
39 Sie sprach die Grundsätze aus, vermöge deren Luther fortan überhaupt für die Gemeinden das Recht in Anspruch nahm, sich gemäss ihrer eignen Überzeugung ihrer bisherigen Geistlichen zu entledigen und mit evangelischen zu verssehen: es sei den Christen geboten, sich vor den falschen Propheten, den Wölfen in Schafskleidern, zu hüten, und sie hätten alle die Macht, über die Lehre zu urteilen und die Wölfe zu erkennen; die städtische Kirche ferner gehöre nicht jenen, sondern der Gemeinde, und die kirchlichen Zinsen seien jenen nicht verliehen, damit sie die Seelen morden, sondern damit sie das Evangelium predigen sollten, gebührten ihnen daher nicht, wenn sie dies unterliessen; im übrigen werde man ihnen ihre Gewalt und Sprengel unverletzt lassen, wenn sie das Evangelium und der Seelen Heil unverhindert liessen. | |
40 Der Magistrat trat dabei ohne weiteres als der natürliche ordentliche Vertreter der Gemeinde auch in dieser geistlichen Angelegenheit auf; er erklärte: "wir werden aus eigen Gewissen bewegt, vorzunehmen, was unserer und unserer Nächsten, der Stadt Altenburg, Seligkeit nit ist, als denen wir aus zweierlei Pflicht zu dienen schuldig sind, nämlich des leiblichen Regiments und brüderlicher christlichen Liebe halber"; unter die Pflichten dieser Liebe also fiel für ihn auch die Fürsorge in Sachen der Seligkeit. Luther unterstützte ferner die Forderung des Magistrats durch ein Schreiben, das er selbst an den Kurfürsten richtete; und hier behauptete er nicht bloss das Recht der Gemeinde und ihrer Vorsteher, sondern er machte es nun auch dem Landesherrn zur Pflicht, den Chorherren in dieser Sachen den Schutz zu versagen, und selber "als ein christlich Mitglied dazu zu raten und zu helfen, auch als ein christelicher Fürst, sofern es sein mag, den Wölfen zu begegnen". | |
41 Der Kurfürst verweigerte dann Zwilling trotz Luthers fortgesetzter Fürsprache die Bestätigung, indem er wohl nicht bloss durch den Protest der Chorherren, sondern auch durch seine eignen Bedenken gegen die Persönlichkeit desselben sich bestimmen liess, übertrug jedoch die fragliche Predigerstelle (im Juni 1522) an Luthers Freund Link, der längst und namentlich auf jenem Augustiner-Konvent v. J. 1522 (oben S. 470. (4,3#70) 482 (4,3#115)) seine evangelische Gesinnung genugsan kundgegeben hatte. Vergebens verwehrten auch ihm anfangs die Chorherren den Gebrauch der Kirche. Sie mussten ihn zulassen; er legte im Februar 1523 sein Generalvikariat förmlich nieder, begann im Frühjahr das Abendmahl unter beiden Gestalten auszuteilen, trat auch in den Ehestand. (n41) (520) | |
42 Über Luthers Auftreten in Zwickau haben wir noch Bericht von einem Augenzeugen. Aus der ganzen Umgegend strömte hiernach das Volk zusammen, im ihn zu sehen und zu hören, ja die Zahl wird auf mehr als 25,000 berechnet. Er hielt daher eine jener vier Predigten auf dem Markte von einem Fenster des Rathauses aus, eine andere im Schloss vor einer im Schlosshof sich drängenden Zuhörerschaft. (n42) | |
43 In Betreff der Eilenburger Gemeinde, wo Luther die einen nach einem evangelischen Pfarrer begierig, die andern aber zu lässig und gleichgültig fand, wünschte er, dass der Kurfürst selbst den ersten Schritt tue, nämlich den Magistrat zur Befriedigung jenes Wunsches auffordere, schlug auch gleich zwei Prediger vor, von welchen dieser einen berufen möge. Er erklärte: dem Kurfürten müsse als christlichem Bruder und zugleich als Fürsten daran gelegen sein, den Wölfen zu begegnen und für seines Volkes Seligkeit zu sorgen. (n43) So waltet bei ihm diese Auffassung der Obrigkeit vor vom Beginn seines reformatorischen Handelns an. Auch jene ersten Wittenberger Neuerer übrigens hatten es ja nicht anders gewisst: durch den städtlichen Magistrat liessen sie verfügen, was sie wünschten, und hätten es froh ergriffen, wenn gleicherweise der Landesherr ihnen zu Willen gewesen wäre. | |
44 Ganz naach den in Altenburg entwickelten Grundsätzen beriet Luther bald nachher auch z. B. den Grafen Johann Heinrich von Schwarzburg: er solle den Mönchen, denen von seinem Vater eine Pfarrei übergeben worden war, vorhalten, dass sie ihrer Bestimmung gemäss das Evangelium zu predigen hätten, und, wenn sie sich weigerten, ihnen die Pfarre nehmen; denn es seien keinem Prediger darum Güter und Zinsse gegeben, dass er Schaden, sondern dass er Frommen schaffen solle. (n44) Auch die Rechtsfrage, ob nicht die kirchlichen Güter der Kirche des alten Glaubens und ihren Geistlichen verbleiben und für die neuerwachte evangelische Predigt erst neue Stellen begründet werden müssten, machte ihm also nicht weiter zu schaffen. | |
45 Er ging hierbei davon aus, dass schon die ursprünglichen Stiftungen der Verkündigung des göttlichen Wortes dienen wollten, und gab gar nicht zu, dass diejenige Verkündigung, welche jetzt als falsche, ja als Verkehrung des Wortes ans Licht gestellt sei, jemals zu Recht bestanden habe; die Kirche, für welche er neue Hirten haben wollte, sollte keineswegs einen neue sein, sondern die alte, welche nur wieder zum Bewusstsein ihres eignen Wesens und ihrer göttlichen Grundlage, Bestimmung und Ordnung komme. | |
46 Am 18. Mai (Sonntag Cantate) predigte er in Zerbst, wo es im Frühjahr auch zu einem Bildersturm gekommen war, in der Kirche des Augustinerklosters, um auch hier die kirchliche Bewegung in ruhigere Bahnen zu leiten. Er wohnte bei seinen Ordensbrüdern im Kloster, aber auch der Rat ehrte ihn durch Geschenke. Aber Fürst Wolfgang von Anhalt, (521) der ihn in Worms kennen gelernt, traf hier mit ihm zusammen, eine Begegnung, die für seine Entscheidung in der kirchlichen Frage gewiss nicht ohne Bedeutung blieb. (n46) | |
47 Im Oktober führte Luther doch auch die Reise nach Erfurt aus, die er im Frühjahr noch abgelehnt hatte. Er war zugleich durch Wolfgang Stein, den Hofprediger des Herzogs Johann, nach Weimar eingeladen, wo dieser und sein Sohn Johann Friedrich seine Anwesenheit wünschten. Melanchthon, Agricola und der frühere Antwerpener Prior Jakob Propst (vgl. über diesen unten = 5,7#12) begleiteten ihn. Eine Menge von Freunden und Neugierigen drängten sich in Erfurt, wo er am 20. anlangte, wieder um ihn und Melanchthon. Auch Gastmahle und Reden wurden wieder für sie veranstaltet. Doch enthielten sich der Magistrat und die Universität der Stadt, wo jetzt die Parteien so leidenschaftlich gegenüber standen, ihnen von Amts wegen Ehrenbezeugungen zu erweisen. | |
48 Luther stieg vor dem Tore der Stadt vom Wagen, um den Andrang der Begrüssenden auszuweichen. Sogleich macht er sich wider ans Predigen: einmal am 21., zweimal am 22., an welchen Tage Melanchthon statt der Gottesdienste einer Einladung zu Heinrich Urbanus folgte, wo er den aus Leipzig als Gast anwesenden Mosellan traf. Luther trat, um Lärm und Aufsehen zu meiden, absichtlich nur in der unscheinbaren Michaeliskirche auf. Er sprach nur über das Notwendigste: über den seligmachenden Herzensglauben und die Einigung der Seele mit Christus, gegen das Vertrauen auf äussere Werke und gegen die falsche, aristotelische und scholastische Menschenweisheit. | |
49 Wohler fühlten sich die beiden, wie Melanchthon berichtet, in Weimer, wohin sie noch am 22. zurückfuhren: sie hätten, sagt er, hier nicht die Unruhe und die Gastgelage gehabt; es sei ihnen heimisch zu Mute gewesen. Luther war dort 7 Nächte im alten Vorserk beim Schloss in der Wohnung des Kammerschreibers Sebastian Schade untergebracht. Wie er dort schon auf der Durchreise nach Erfurt am Sonntag dem 19. zwei Predigten gehalten hatte, so predigte er jetzt noch -- am 24., 25. und 26. Oktober, am letzteren Tage zweimal, -- vor den Fürsten und der Gemeinde. Diese sechs Predigten, in sorgfältiger Nachschrift uns noch erhalten, geben eines der besten Beispiele, wie er einfach, klar, lebendig und praktisch die Summe der Heilslehre in kurzer Ausführung für Hoch und Niedrig darzulegen wusste. In einer derselben handelte er, mit Anschluss an die Lehre vom Reiche Christi, auch eigens von der weltlichen Obrigkeit, sie scheidend vom geistlichen Gebiet und ihre Pflichten den anwesenden Fürsten ans Herz legend; wir serden auf dieselbe unten (im 6. Kapitel) zurückkommen. (n49) | |
50 So weit wir Luther auf solche Weise in weiterem Unkrieis tätig sehen und reden hören, hat er überall nur erst aufs Pflanzen evangelischer Grund- (522) erkenntnis und Gesinnung hingearbeitet. Die äusseren Dinge, um welche in Wittenberg so sehr geeifert worden war, übergeht er oder gedenkt ihrer bloss, um nach beiden Seiten hin zu warnen, teils vor einem abgöttischen Hängen anden Ceremonien und guten Werken der päpstlichen Kirche, teils vor einem verkehrten Drängen und Stürmen nach Reform. | |
51 Wo aber die reformatorische Bewegung auf das von ihm geforderte Mass zurückgeführt war und die Neubildung, mit der man zunächst sich begnügen sollte, einmal festen Bestand gewonnen hatte, da fand nun doch auch er es bald zulässig, angemessen und notwendig, Schritt für Schriff mit den Neuerungen weiter vorzugehen. | |
52 Schon im nächsten Jahre fiel mit seiner Zustimmung in Wittenberg und z. B. auch in der kurfürstlichen Residenzstadt Torgau die bisherige Feier des Fronleichnamsfestes, von welcher Luther aus eigner Erfahrung wusste, wie sehr sie nicht bloss mit der scholastischen lehre, sondern auch mit der ganzen bisher herrschenden Religiosität des Volkes verwachsen war, in welcher aber jetzt ein Hauptstück des menschlich erfundenen, abgöttischen Gottesdienstes abgetan werden sollte. (n52) | |
53 Ferner liess man bei der Wittenberger Pfarrkirche die Feste der Heiligen eingehen mit Ausnahme derjenigen Marienfeste, in denen Tatsachen des Lebens Christi gefeiert wurden. | |
54 Im sonntäglichen Gottesdienst wurden nicht bloss jene aufs Messopfer bezüglichen Worte weggelassen, sondern auch verschiedene, zur bisherigen Liturgie gehörigen Gesänge. Alltägliche Gottesdienste wurden, wied wir schon oben (S. 512 = #6) erwähnten, jetzt wieder eingeführt, aber nur zur Verkündigung des göttlichen Worts und christlichem Gebet. Am 23. März 1523 begann man in der Stadtkirche mit dieser meuen Form der Wochengottesdienste. Zunächst wurden Lejtionen aus dem Neuen Testament für jeden Morgen angeordnet. Die Absicht war, ebenso für den Abend oder Nachmittag (Vesper) alttestamentliche Lektionen ainzurichten, wenn sich für sie ein Lektor gefunden haben werde. Und zwar sollte man dem ursprünglichen Plan jedesmal ein geistlicher den biblischen abschnitt verlesen, ein anderer darüber sprechen: so meinte man hier jener Weisung 1 Kor. 14,27 (vgl. S. 518 =#35) einander reden sollten, nachzukommen. Den Schluss sollte ein Gebet für das Volk der Kirche machen. (n54) | |
55 Diese Neuordnung beschreibt und empfielt die kleiine Schrift "Von Ordnung Gottesdienst in der Gemeine". Ob diese den am 23. März begonnenen Änderungen als empfehlende Einführungsschrift vorangegangen, oder ihr zwischen Ostern und Pfingsten nachgefolgt ist, um auch andern Gemeinden, z. B. der in Leisnig, der er eine solche "Ordnung" versprochen hatte, die Wittenberger Einrichtungen zu empfehlen, wird schwer zu entscheiden sein. (523) Jedenfalls hielt Luther schom am 11. März nach der Predigt eine Ansprache an die Gemeinde des Inhalts, Messe solle fortan regelmässig nur noch an den Sonntagen gehalten werden, an Wochentagen nur, soweit ein besonderes Bedürfnis von Kommunikanten vorliege. | |
56 An den Wochentagen aber solle täglich früh und abends Lektion aus dem Neuen und Alten Testament mit angefügter Schrifterklärung stattfinden. Das sei sein Vorschlag. Dem Inhalt dieser Ansprache entspricht genau jene dann in Druck ausgegangene Flugschrift. Auf ihren Inhalt kommen wir S. 529f zurück. (n56) In der Gründonnerstagspredigt, am 2. April 1523, kündigte er der Gemeinde an, dass man nur diesmal noch die Kommunikanten unterschiedslos zum Abendmahl zulassen werde; hier sei ein Mangel, der gebessert werden müsse. Wie in der alten Taufordnung der Erteilung des Sakraments die Fragen nach der Abrenuntiation und dem Glauben des Täuflings vorangingen, so solle man auch hinfort die Kommunikanten zuvor fragen, warum sie das Abendmahl begehrten und was sie da zu empfangen glaubten. | |
57 Zugleich stellte er die Regel auf, keiner solle ohne Beichte zum Abendmahl kommen. Doch solle niemand zum Aufzählen der einzelnen Sünden gezwungen sein; nicht der Rückblick aud die Sünden, die man getan, sondern der feste Blick auf das neue gute Leben, zu dem man von Gott Kraft erbitten wolle, sei hier die Hauptsache. Für jene Anmeldung zum Abendmahl und die dabei vorzunehmende Erforschung stellte er fünf einfache Fragen nebst Antworten als Muster auf, die mit einen Vorwort Bugenhagens im Druck ausgingen und weite Verbreitung fanden. Diese Erforschung, bei der man auch erkunden könne, ob die Leute die Einsetzungsworte auswendig wüssten, brauche freilich -- so fügte Luther bald erläuternd hinzu, -- nur einmal im Jahre vorgenommen zu werden, bei verständigen Leuten sogar nur "einmal im Leben oder auch niemals". Wir sehen, wie über dem neubau des kirchlichen Lebens die pädogische Aufgabe der Volkskirke als einer Anstalt zu religiöser und sittlicher Volkserziehung sich bemerkbar macht. (n57) | |
58 Indem er aber das kommen zum Sakrament auf den inneren Trieb rechtschaffenen Glaubens stellt, und nir due auffordert zu kommen, die den Glauben als Werk Gottes in sich spüren, verhehlt er sich nicht, man werde dann sehen, "wie wenig Christen sind und zum Sakrament gehen werden". "Man könnte es aber also anrichten und dahin bringen, dass man die, so da recht glaubeten, könne auf einen Ort sondern. Ich wollte es wohl längst gern getan haben, aber es hat sich nicht wollen leiden, denn es ist noch nicht genug gepredigt und getrieben worden". Man sollte, so wie auch Christus und die Apostel getan, die Predigt über den ganzen Haufen der Gläubigen und Ungläubigen ausgehn lassen, das Sakrament aber nicht also unter die Leute in Haufen werfen, wie es der Papst getan habe. | |
59 Bei der Predigt (524) des Worts wisse man nicht, wen es treffe; bei den Kommunikanten aber müsse man gewiss sein, dass sie das Evangelium gefasst hätten. Da regt sich bei ihm der Gedanke einer Aussonderung der Sakramentsgemeinde aus der Schar der Hörer der Predigt; in ersterer lasse sich dann auch die Kirchenzucht wiederherstellen, "dass man wüsste, welche rechtschaffene Christen wären". Wir werden sehen, wie ernst ihn auch später wieder diese Gedanken beschäftigen. (n59) | |
60 Nach Ostern erschien dann sein verdeutschtes Taufbüchlein (s. unten S. 543f.), und im Dezember die Formula Missae, die von der Neugestaltung des Hauptgottesdienstes auch auswärts Kunde geben wollte, damit andere Geistliche und Gemeinden dem Vorbild folgen oder ihrerseits im Lichte des evangelischen Geistes Massnahmen treffen und Vorschläge machen möchten; durch Paul Speratus liess Luther sie verdeutschen. Er widmete sie seinem Freund Hansmann in Zwickau, der sich Weisungen von ihm erbeten hatte. Er erklärte, um der Schwachen willen und im Gegensatz gegen die leichtfertigen, fürwitzigen Geister alles nur mit Bangen und Zögern unternommen zu haben; jetzt aber, da man hoffen dürfe, dass viele Herzen durch Gottes Gnade erleuchtet und gestärkt seien, und da endlich das Abtun der Ärgernisse in Christi Reich unerlässlich sei, müsse man in Christi Namen etwas wagen. Näheres darüber S. 529ff. (n60) |
61 Jetzt wurde ferner die Austeilung des Abendmahles unter beiden Gestalten, die Luther anfangs nur für die Geförderten zugelassen, in der Wittenberger Pfarrkirche allein noch geduldet. Er sprach sich darüber in der Formula Missae aus: nachdem das Evangelium den Leuten nun zwei Jahre lang eingeprägt worden sei, habe man Nachsicht genug gegen die Schwäche geübt; es liege nichts daran, wenn die, welche jenes so lange nicht erkannt hätten, nun gar kein Abendmahl mehr empfinden, damit nicht längere Duldung ihrer Schwäche zur Halsstarrigkeit bei ihnen führe. Nur da, wo das Wort Gottes noch nicht gehört und bekannt sei, genehmigte und forderte Luther noch jene Rüchsichtsnahme (ebenso auch noch bei der sächsischen Kirchenvisitation fünf Jahre nachher). | |
62 Sein Grundsatz von der Freiheit des religiösen Gewissens und vom Wirken durchs Wort allein stoess also doch in der Praxis auf Schranken seiner Durchführbarkeit. Wohl wollte er für die Teilnahme an diesem evangelischen Gottesdienst und Abendmahl fort und fort nur Christen, die in freier Überzeugung dem evangelischen Worte folgen. Denen aber, bei welchen das Wort nicht den gehofften Erfolg hatte, stand die evangelische Ordnung nun doch als äusseres Gesetz gegenüber. Sie sollten nach seiner Meinung nicht gezwungen sein, an ihr sich zu beteiligen; aber sie gingen, wenn sie ihr widerstrebten, nicht bloss ihrer bisherigen kirchlichen Rechte verlustig, sondern sie konnten an dem Orte, dem sie als Bürger angehörten, überhaupt keinen (525) öffentlichen Gottesdienst mehr über und geniessen. | |
63 So stiessen in der reformatorischen Tätigkeit Luthers (und in der evangelischen Reformation überhaupt) jener neu vorgetragene evanglische Grundsatz und die von Alters her in der Christenheit festwurzelnden Ansichten über die Nichtzulässigkeit verschiedener und sich widerstreitender christliche Gemeinwesen in einem bürgerlichen und nationalen Gemeinwesen auf einander. Jenen hat Luther am nachdrücklichsten unter allen Reformatoren vorangestellt; dennoch haben auch diese andern Gedanken bei ihm sich behauptet. | |
64 Schwierigkeiten bereitete die Stiftkirche. Zunächst wegen ihres Reliquienschatzes und der daran geknüpften Ablässe. Unaufhörlich hatte der Kurfürst an ihrer Mehrung gearbeitet. Die Zahl der heiligen "Partikeln" war von 5005 im Jahre 1509 bis zum Jahre 1518 auf 17443 gestiegen und noch 1520 wieder um 387 Stücke vermehrt worden. Noch 1520 war eine neue gedruckte "Verkündigung des grossen Ablasses der Weisung des hochwürdigen Heiligtums in Allerheiligen Stiftskirche zu Wittenberg" ausgegangen. 1521 waren die Reliquien zwar noch gezeigt, der Ablass aber nicht mehr verkündigt worden; doch hatte schon die blosse Zeigung und Verkündigung der einzelnen "Heiligtümer" zu einer Störung durch "vorwitzige" Zwischenrufe Anlass gegeben. | |
65 Jetz baten Propst und Kapitel am 24. April 1522, wieder die Vorzeigung "ohne Vermeldung einiges Ablasses" zu gestatten, wobei zugleich der kurfürstliche Schösser aufpassen solle, dass keine Störung versucht werde. An demselben Tage erklärte sich Luther in einem Briefe an Spalatin gegen die Zeigung. Der Kurfürst entschied demgemäss am 26. April, dass auch die Zeigung unterbleiben solle, da diese doch nur um des Ablasses willen geschehe. Doch solle das Heiligtum ausgesetzt werden unter guter Aufsicht. (n65) | |
66 Schwieriger noch war die Beseitigung des alten Messdienstes, den die Stiftsherren der Schlosskirche noch fortsetzten. Nur ein Teil von ihnen war demselben wirklich ergeben. Jonas, der Propst der Kirche, und Amsdorf waren vielmehr seine schäftsten Gegner. Aber ein Beschluss, ihn abzuschaffen, war nicht durchzusetzen. Die Zahl der jährlich hier zu haltenden Messen, der öffentlichen und stillen, für Lebende und Tote war auf 9901 gestiegen, wozu eine Schar von 83 Klerikern, meist Kaplänen und Vikaren, erforderlich war. | |
67 Luther hatte auch hier anfangs noch Nachsicht. Er riet den Kplänen, es im Dienste fremder Schwachheit so zu tun, dass sie daraus nur eine Feier des Abendmahls für sich selbst machten. Aber er strebte dahin, dass doch bald dieses ganze "Bethaven", diese Stätte des Götzendienstes, umgewandelt werde. Die unter den Priestern des Stifts, welche widerstrebten, waren ihm grösstenteils auch persönlich anstössig und verächtlich: er warf ihnen vor, dass sie des Morgens ihre Messe hielten, nachdem sie die Nacht (526) in Unzucht verbracht. Darüber verhandelte er mit Spalatin, der beim Kurfürsten sich verwenden sollte. Am 1. März 1523 forderte er dann auch das Kapitel selbst auf, freiwillig das Ärgernis ihrer Messen zu beseitigen, damit er sie nicht öffentliche deswegen angreifen müsse. Vier von ihnen wandten sich darauf an den Kurfürsten und erbaten sich von ihm Anweisung. Dieser erklärte es für billig, dass die von seinen Vorfahren gestifteten Seelmessen und andern Ämter weiter gehalten würden. | |
68 Amsdorf, der am 13. März an Stelle der kürzlich verstorbenen katholisch gesinnten Lorenz Schlamau zum Dechanten erwählt wurde, lehnte die Wahl ab, da es gegen sein Gewissen sei, den Eid zu leisten, dass er die gestifteten Messen handhaben und schützen wolle. Der altgläubige Beskau wurde Dechant. Da alles einstweilen beim Alten blieb, so schrieb Luther abermals (11. Juli) an die Stiftsherren: "ich rede jetzt mit Euren Gewissen; was geht uns der Kurfürst in solchen Sachen an?" und brachte nun auch die Sache am folgenden Tage und noch schärfer am 2. August auf die Kanzel. Das Kapitel wendete sich abermals an den Kurfürsten. Dieser beauftragte die Juristen Schurf und Schwertfeger sowie Melanchthon, Luther in seinem Namen Vorhaltung zu machen, er "solle nicht so geschwind handeln", er liess ihn auf den bevorstehenden Reichstag und das noch zu erhoffende Konzil verweisen. | |
69 Luther erwiderte, er werde nicht aufhören, dawider zu predigen, da es wider das Evangelium sei. Doch werde er auch das Volk ermahnen, dass es nicht gewaltsam die Beseitigung jener Messen herbeiführe. Daneben gab er jetzt dem Kapitel ein Gutachten, wie der Gottesdienst bei ihnen umzugestalten wäre (19. August). Auch Bugenhagen gab in einem Schreiben an die Universität sein Votum dahin ab, dass die Messen und Vigilien im Stift gänzlich abzuschaffen wären, der Horengesang aber einstweilen beibehalten werden könne. Jonas aber wendete sich an Friedrich direkt mit ausführlichen Bedenken gegen den jetzigen Zustand und eingehenden Abänderungsvorschlägen. | |
70 Hierbei erinnerte er ihn daran, wie einst König Hiskia die abgöttischen Greuel nicht geduldet, sondern die eherne Schlange, die vom Volk angebetet wurde, gebrochen habe, unter dem Einfluss der Predigt Jesajas, der damals "Fähnrich des reingen Gotteswortes"gewesen, so wie jetzt Dr. Luther. Aber Friedrich blieb bei seiner Rechtsauffassung, wonach er nicht befugt war, an dieser Stiftung etwas zu ändern -- zumal im Blick auf seine Verantwortung vor Kaiser und Reich. Er bedurfte zu seiner eigenen Rechtfertigung angesichts aller von ihm schon zugelassenen Neuerungen des Hinweises darauf, dass er in seiner eigenen Kirche über der alten Ordnung gehalten habe; und Jonas bekam für seine Vorschläge Worte fürstlichen Unwillens zu hören. | |
71 Luther gab seinen Unbehagen über dies "gotteslästerliche Tophet", der sächsischen Fürsten "gottloses und verschwendetes Geld", diese "Kirche aller Teufel" in seiner Schrift Formula (527) Missae kräftigen Ausdruch. Täglich müsse er das Volk zügeln, dass es nicht dem Unwesen mit Gewalt ein Ende machen. Tatsächlich war schon zu Weihnachten 1522 von Studenten nachts Unfu9g in der Stiftskirche getrieben worden. Es waren jetzt nach Luthers Ausdruck unter den Stiftsherren selbst nur noch drei "Schweine und Bäuche", die, wie er sagt, um schnöden Geldes willen an der Messe festhielten. Drei neuerwählte Stiftsherren, die bei ihrer Wahl das Versprechen gegeben, was die Statuten vorschrieben, zu halten, hinterher sich aber geweigert hatten, Messen zu lesen, legten im Sommer 1524 ihre Pfründen nieder, hofften nun aber vergeblich auf eine Entschädigung durch den Kurfürsten. | |
72 Umsonst bemühten sich Luther und Schurf dafür, sowie dafür dass das Einkommen dieser nun ledigen Stiftsstellen für Lektionen an der Universität verwendet würde: der Kurfürst lehnte "zur Zeit aus viel Ursachen" ab. Als Luther erfuhr, dass der neue Dechant Beskau einer Frau in der Stadt das Abendmahl unter einer Gestalt gereicht habe, da drohte er (17. November) dem Kapitel, er werde als berufener Prediger der Gemeinde Rat und Mittel vornehmen, um seinen und der Seinigen Gewissen genug zu tun, als die des Teufels Gemeinschaft zu vermeiden und zu fliehen gesonnen seien. Er stellte die Fordeerung, ihm auf Ja oder Nein bis zum nächsten Sonntag Antwort zu geben, ob sie Messen, Vigilien und alles, was dem Evangelio entgegen, abtun wollten. | |
73 Die altgläubigen Stiftsherren, die sich vor der steigenden Aufregung in der Bevölkerung fürchteten, wandten sich an den Kurfürsten; dieser sandte die Juristen Schurf und Benedikt Pauli zu Luther und liess ihn von jeder Gewalttätigkeit abmahnen. Er predige ja selber, man solle Gottes Wort allein fechten lassen, das werde zu seiner Zeit, wenn es Gott haben wollte, wohl wirken; und Nürnberg gebe ja das Beispiel, dass man das Evangelium annehmen und doch daneben noch Messen dulden könne. Aber am Tage darauf, am 1. Advent, hielt Luther eine Predigt "vom Greuel der Stillmesse", die in schärfsten Worten die verwerflichen Bestandteile der römischen Messliturgie als Gotteslästerung, als Narrheit und Lüge zugleich, brandmarkte und die Fortsetzung dieser Greuel für schlimmer erklärte als die Sünden der Unzucht, des Mordes und Diebstahls, -- gemässs dem Grundsatz, dass die Sünden wider die erste Tafel noch ärger sind als die gegen die zweite. | |
74 Er schloss mit dem Appell an Fürsten, Bürgermeister, Rat und Richter, endlich dieser Lästerung zu wehren und Gottes Ehre zu retten, als die das Schwert von Gott empfangen hätten. Das wirkte: Gemeinde und Universität schrieben an die Stiftsherren energisch und warnten sie vor Gottes Zorn; dann begaben sich der Rektor, die Bürgermeister und zehn Ratsherren zu dem Dechanten Beskau und kündigten den beharrlich am Messdienst festhaltenden Stiftsherren die Gemeinschaft auf, (528) dem Dechanten aber wurden nachts die Fenster eingeworfen. Der Kurfürst sprach sein Missfallen aus, schob aber seine Entscheidung abermals hinaus. | |
75 Aber nun erklärte der Dechant des kleinen Chors Christoph Blank in einen Schreiben an den Kurfürsten, er habe sich überzeugt, dass sich die Messe nicht verteidigen lasse. An Weihnachten 1524 fielen so zum erstenmal die "Greuel" in der Stiftskirche weg; an die Stelle der täglichen Privatmessen sollte ein Dienst des göttlichen Wortes wie in der Stadtkirche treten, das Sakrament des Altares nur noch in einer Gemeinde von Kommunikanten gefeiert werden. So liess denn auch der Kurfürst solches geschehen. Unter seinem Nachfolger wurde im nächsten jahre der Gottesdienst vollends neu geordnet, "der ganze Papst", wie Spalatin sich ausdrückte, "ausgemerzt". | |
76 Während ein Süddeutscher Philipp Melhofer (Urban Rhegius?) Luthers entscheidende Predigt nach einer ihm zu Händen gekommenen Nachschrift in Druck gab, arbeitete Luther selbst sie um zu einer Schrift "Von dem Greuel der Stillmesse, so man den Kanon nennet". | |
77 Hier legt er den Lesern verdeutsch die Gebete und Handlungen des Messkanons vor und zeigt ihnen, "wie verblendete, verstockte Gotteslästerer unsre Papisten sind", und fordert alle weltlichen Herren auf, dieser Lästerung Einhalt zu tun, die ebenso strafbar sei, wie andere Gotteslästerung. (n77) | |
78 Zu einem Bruch des dem Stiftskapitel zustehenden Rechtes führte auch die Neubesetzung der Praffamts an der Stadtkirche nach dem Ableben des kranken Simon Heinz. Das Besetzungsrecht stand dem Kapitel zu. Dieses trug die Stelle erst Amsdorf, dann Luther an; als beide ablehnten, begann es Verhandlungen mit W. Link in Altenburg, dessen Ablehnung aber auch zu erwarten war. Darüber verstrich die Zeit; Luther ebenso wie der Wittenberger Rat wurden ungeduldig. Der Rat setzte einen letzten Termin für die Präsentation: als das Kapitel diesen verstreichen liess, das schritt jener "neben der Gemeinde nach der evangelischen Lehre St. Pauli" zur Wahl, die auf Bugenhagen fiel. | |
79 Dieser zögerte noch und bat um Frist. Da griff Luther entschlossen ein, proklamierte ihn im Gottesdienst von der Kanzel als den erwählten Pfarrer und konfirmierete und bestätigte ihn als tüchtig zu diesem Amte. Jetzt protestierte natürlich das Kapitel und beschwerte sich am 28. Oktober 1523 beim Kurfürsten über des Rats und Luthers Eigenmächtigkeit. Der Rat rechtfertigte sich darauf (2. November), -- fehlt uns nun auch die Entscheidung, die der Kurfürst fällte, so sehen wir doch: Bugenhagen trat das Amt an, und das Besetzungsrecht ging fortan auf den Rat, 10 Vertreter der Gemeinde und die Universität über. (n79) | |
80 Die hier erzählten Vorgänge zeigen deutlich, welche Schwierigkeiten es hatte, jene Grundsätze von der notwendigen kirchlichen Einheit und Herstellung eines einzigen für evangelisch erkannten Kirchentums zugleich mit (529) dem Grundsatz von der religiösen Freiheit und der reinen Wirksamkeit des Wortes bei den kirchlichen Reformen zur Geltung zu bringen. Sollten jene Grundsätze festgehalten werden, so waren die schlimmsten Verwicklungen nur dadurch zu vermeiden, dass man mit denselben noch weiter ging, als Luther anfangs wollte, dass nämlich die höchste gesetzgebende Gewalt des Landes auch die kirchlich Ordnung, welche fortan für die echt christliche anerkannt werden sollte, zum Gesetz machte und jeden äussern Widerstand gegen sie niederschlug. | |
81 Doch der bejahrte Kurfürst Friedrich mit seiner religiösen Ängstlichkeit und steten Rücksich auf die auch ihm übergeordnete Reichsgewalt war noch nicht der Mann, solches in die Hand zu nehmen. Und Luther war denn noch auch nicht der Mann, heftig dazu hinzutreiben. Auch diesmal konnte er ja noch sagen, dass er durchs Wort gesiegt und die Greuel ausgefegt habe. Und die Reformation ist in Wittenberg, ihrer ersten Stadt, doch von der Gemeinde im ganzen mit voller Freiheit angenommen worden. | |
82 cVidere til koestlin5,3! | |
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90 c |
Noter:
n1: Br 2, 161 (E3, 320f) EA 28, 304f.
n5: Br 2,161 (E3,320f). EA 28,304f.
n11: EA 28,285ff; dazu Br 2,155, 160. 177. 180 (E3, 319. 325. 330). CR 1, 570. -- EA 22, 38ff. -- Br 2, 154. 151f. 161 (E3, 312. 320f) -- Kolde, Fried. W. 63f.
n22: Lang: Thesen von ihm in J. E. Kapp, Klein. Nachlese 2, 529. 514f. -- Kolde, Aug. cong. 380. -- Br 2, 175, 180. 203f. 213. 219ff. 255 (E3, 323. 330. 370f. 429ff. 4,27). Paulus, Usingen 35ff. -- EA 7, 71. 15, 382f (vgl Luth.s Pred. zu Weimar gehalt. 1522, herausg. v. Höck 1846, 80f.; L. Th. 1, 370ff).
n24: Br 2, 161ff. E3, 308ff. Über Kronberg vgl. die Biographie von W. Bogler, Halle, 1897, und die Ausgabe seiner Schriften von Ed. Kück, Halle 1899. Dass das Schreiben noch auf der Wartburg verfasst wurde, wird dadurh wahrscheinlich, dass Hans v. Berltpsch, der Schlosshauptmann, es Cronberg zusendete, Schriften 6. 62. Die Worte am Schluss: "dass ich jetzt gen Wittenberg mich gemacht habe", bezeichneten dann die Absicht, eben aufzubrechen. Vgl. Kück, S. XXVIII.
n25: CR 1, 561. Förstemann. N. Unkundenbuch 19ff. Spal Ann. 32f. Seck. 1, 219ff.
n27; EA 28, 318ff. Br 2, 159 (E3, 318)
n28: Fraustadt, Die Einführung d. Reformation im Hochstift Merseburg. Leipz. 1843, 39ff. O. Clemen, Beitr. z. Ref. Gesch. (1902) 2, 4ff. L.s Entwürfe bei Kapp, Kl Nachlese 2, 564ff. und bei Clemen 13f.
n32: EA 28, 141ff. Br 2,216. 235 (ED3, 426. 435).
n35: WA 11, 461ff. (EA 22,140ff) 12,160ff. (Op v. a. 6, 492ff) zur Datierung auch E4, 259).
n37: Br 2, 190 (E3, 351). Tzl 2, 262ff. Pred. z. Weimer gehalten (s. Anm 515,1 17ff. CR 1, 570. Lke. 128ff. Die weitverbreitete Angabe, dass L. in Borna unmittelbar nach der bischöflich Merseburgischen Visitation angekommen sei, beruht auf einer falschen Auffassung der Mitteilung Seck. 1, 219. Diese Visitation vom 2. Mai fällt ins Jahr 1524, vgl. Försterm. a. a. O. 100ff. -- Predigten in Borna EA 16, 320ff.; Torgau: ZKG 19,99.
n41: Br 2, 191. 192ff. 6, 30ff. E3, 333f. 347ff. 353ff. Bk 45ff. Seck. 1,214. W. Reindell, Dr W. Link I (Marb. 1892), 185ff. 284ff.
n43: Br 2, 190 (E3, 351). UN 1715, 961f. 1095f.
n46: H. Becker in StKr 1899, 584f. u. in Wochenblatt Ascania 1902 N. 40. Wolfgang blieb noch bis 1525 in erzbischöflich-magdeburgischen Diensten.
n49: CR 1, 578ff. (mit falscher Bestimmung der Tage). Spal. Menck. 617. Weimarer u. Erfurter Predigten: EA 16, 420ff. Pred. z, Weim. gehalten 1846. -- Kawerau, Agric. 35. ZKG 19,99f. J. Becker. Kurf. Johann u. s. Beziehungen zu Luth. Leipz. 1890, 15.
n52: FS 1731. Kolde Friedr. d W. 51.
n56: WA 12,31ff. EA 22, 151ff. Sehling, Kirchenordnungen 1,2f. Kolde in GgA 1892, 575. WA 11,61.
n57: WA 12, 472ff. EA 17, 39ff. 197ff. Brieger in ZKG 4, 569f. 579ff. Br 2, 428 (E4, 253). WA 12, 215ff.
n60: WA 12, 197ff (Op. v. a. 7, 1ff.). Sehling a. a. O. 1, 3ff. Br 2, 428 (E4, 253). Schmidt, Nicol Hansmann 27f.
n77: Br 2, 283. 300. 308f. 314f. 354ff. 378. 388ff. 421f. 431. 436. 503. 529ff. 554. 564ff. 569. 572 (E4, 53f. 63. 89f. 95. 176f. 200. 210ff. 245. 256. 326f. 363. 5,37. 54f. 75. 80). Bk 55. 62. 73. 76. Briefw. d. Bug. 10ff. E4 202. WA12, 620. 645ff. CR1, 619ff. 626ff. 639ff. 661ff. Spal. Menck. 618f. 640. Seck. 1,274ff. -- EA 17, 107ff. 29,113ff.; vgl den Brief Herzog Georgs ZhTh 1847, 683. (Die Anhängigkeit der Schrift von der Predigt beweist, dass sie erst zu Anfang 1525 erschienen sein kann.) -- Buchwald, Ungedruckte Pred. I, S. XX. Über Melhofer ZkWL 1884, 432ff. (Bossert hält hier 434 irrtümlich die Ausgabe der Predigt L.s für eine freie Reproduktion der Schrift vom Greuel der Stillmesse). Köstlih, Friedr. d. W. u. d. Schlosskirche Wittenb. 1892, 92ff. StKr 1884, 562ff. 1885, 555ff. Kropatschek, Joh. Dölsch, Greifsw. 1898, 83ff. Kolde, Friedr. d. W. 67. -- Weiterhin vgl. Spalatin an V. Warbeck, 30. Sept. 1525 (Schlegel vita Spal. p. 222): index correctarum ceremoniarum, imo eliminati Papae etc. Ders. am 16 Okt. 1525 (Vod. Goth. 26. 40): es seien ex tanto choro templi nur noch zwölf übrig.
n79: Briefw. d. Bug. 582. Hering, Bugenh. 20ff. Kolde, M. Luther 2,107.